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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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gesprochen, auch Jahre später mit Taddea nicht. Als er an diesem Tag den Duft einsog und den Atem anhielt, erfüllte es ihn mit kindlicher Freude und Stolz, dass er das Geheimnis für sich behalten hatte.
    Zur Glashütte der Vivarini kam man, wenn man an den Fondamenta des Rio Santo Stefano bis über die dritte Brücke unddie Kirche hinausging, die dem Rio und dem Campo ihren Namen gab. Auf diesem Zipfel Erde zwischen dem Canal Grande von Murano und Santo Stefano hatte sich vor mindestens zwei Jahrhunderten die Familie Vivarini niedergelassen. Henrici di Padua, der Stammvater, war 1348 vor der schwarzen Pest aus Padua nach Venedig geflüchtet, ohne zu ahnen, dass die Seuche aus Venedig kam. Enrico überlebte, sein Nachfahre Vivarino wurde Glasmacher und hatte drei Söhne, Antonio, Bartolomeo und Berto. Vom Erstgeborenen Antonio stammte Michele ab, der ein sehr berühmter Glasmacher wurde. Im Sommer zwischen August und Mitte Oktober, wenn die Zunftordnung der Glasbrenner vorschrieb, das Feuer in den Öfen zu löschen, und die Glashütten schlossen, ging er mit Erlaubnis des Gastalden der Zunft fort zum Arbeiten in weit entfernten Gegenden. Micheles Söhne waren Marco, Antonio und Bartolomeo. Marco führte die Glashütte weiter, die anderen beiden wurden hervorragende Maler. Antonio hatte zwei Söhne, Alvise und Michele. Alvise wurde, den Lehren des Vaters und Onkels folgend, ebenfalls ein ausgezeichneter Maler und war weithin gefragt, von Venedig die ganze Adria hinunter bis nach Apulien. Er hatte zwei Töchter: Ermonia und Lucia. Die Erste lernte die Kunst der Glasbläserei bei ihrem Onkel Michele, dem Glasmeister und Besitzer der Hütte, und vom Vater die Kunst der Farben und Formen, und wurde so zur Meisterin der Herstellung und Verzierung von Glas, die einzige Glasmeisterin, die Murano je hatte. Lucia ging sehr jung ins Kloster, um ihr Leben mit Beten, Studieren, Arbeiten und barmherzigen Werken zu verbringen, und das alles tat sie gläubig und mit Hingabe bis zur tragischen Nacht der Explosion des Arsenale.
    Für Andrea war es nicht leicht gewesen, die Erlaubnis zu einem Besuch Ermonias zu bekommen. Sie war fast achtzig, sehr krank und für ihren launischen, eigenbrötlerischen Charakter bekannt. Die einstmals blühende Glashütte war im Niedergang begriffen. Seit dem Tod ihrer Schwester hatte Ermonia dieMauer zur Außenwelt noch höher gezogen. Schließlich hatte Francesco d’Angelo, Andreas Gehilfe, dank seines Vaters Vincenzo d’Angelo, einem von Ermonia sehr geschätzten Glasdekorateur und Graveur eine Bresche in der Mauer öffnen können.
    Auf der Fahrt an diesem windigen Nachmittag beschloss Andrea, die Fragen, um die es gehen sollte, sorgfältig voneinander zu trennen, um den Geist der alten Glasmacherin nicht zu verwirren. Beginnen würde er mit der Übergabe der hundertzwanzig Dukaten von Mehmet Hasan, die sie sicher erleichtern und in eine wohlwollende Stimmung versetzen würde. Und so hatte er, eingehüllt in den Duft des Glases und den Geruch des Aals, den die Glasbrenner über den Öfen rösteten, nach der Begrüßung den Erinnerungen Ermonias an ihre Schwester Lucia gelauscht und dabei versucht, in dem alten Gesicht der Frau Ähnlichkeiten mit der Äbtissin zu entdecken.
    »Meine arme Schwester«, sagte Ermonia mit hauchdünner Stimme, und der Schmerz verschleierte ihre Augen. »Ende Mai an Corpus Domini habe ich sie zum letzten Mal gesehen. Sie war so voller Leben   …«
    Die zartgliedrige Frau, deren Gesicht die Zeit und die Stürme des Lebens zerknittert hatten, saß auf einem gepolsterten Sessel, den Kopf an zwei dicke Kissen gelehnt, fünf oder sechs Fuß von den Ofenlöchern entfernt, und während sie sprach, verfolgte sie die Bewegungen der Mannschaft aus sechs Glasbrennern, die sich wie in einem Tanz um die Öfen herum bewegten.
    Tatsächlich war dieser Ofen, der so alt war wie seine Besitzerin, der uneingeschränkte Herrscher über die Hütte. In der Mitte des Raumes platziert, zehn Fuß hoch und ebenso breit, gemahnte er an eine aus dem Untergrund aufgetauchte Kirchenkuppel. Durch einige Risse und bröckelnde Stellen des Verputzes sah man die Klinkersteine, aus denen er gebaut war. Sie wurden nicht nur durch den Mörtel zusammengehalten, sondern auch durch zwei starke Eisenringe um die Seiten und ein Dutzend mit den Ringen verbolzter Streben, die ihn vonder Spitze bis zum Boden überzogen und eine Art Gerippe bildeten, wie jenes, das die Frauen unter ihren Röcken zu tragen pflegten,

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