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Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)

Titel: Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giuseppe Furno
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Häufigkeiten aus den Tagebüchern des Marin Sanudo!«
    Er nahm Ferigo den Kohlestift aus der Hand, stellte sich vor die erste Leinwand und schrieb ein großes I an den oberen Rand. Dann tat er einen seitlichen Schritt vor die zweite Leinwand und schrieb ein N darüber. Die dritte Leinwand wurde mit einem V gekennzeichnet. Er musterte seine Schüler.
    »Drei Buchstaben kennen wir schon. Jetzt enttäuscht mich nicht – wie müssen wir verfahren, um die anderen vier zu finden?«
    Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.
    »Um der Güte des Allmächtigen willen«, explodierte Marin, »was habt ihr in all diesen Jahren gelernt? Was müsst ihr als Erstes tun, wenn ihr eine Chiffre vor euch habt, die mit dem erweiterten Alphabet operiert?
    Ferigo schwieg. Pietro wagte einen Versuch. »Man muss   …«, stammelte er.
    »Ich muss das Tal der vier Flüsse suchen«, mischte sich Ferigo ein.
    »Gott sei Dank! Und was noch?« Der Vater winkte ihn energisch an die Leinwand. Ferigo schöpfte tief Atem wie jemand, der sich zum Tauchen anschickt. »Ich will deine Überlegungen vollständig und laut hören«, ermahnte ihn Marin.
    »Ja, Vater.« Ferigo räusperte sich, dann hob er eine der beiden Tafeln. »Hier haben wir die Häufigkeit der Konsonanten und Vokale bei Dante.«
    a +++++++++++++++++++++
    b +++
    c ++++++++++++
    d ++++++
    e ++++++++++++++++++++++++++++++
    f +++
    g ++++++
    h +++++
    i ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++
    j
    k
    l +++++++++++++
    m +++++++++
    n ++++++++++++++++++++++++++
    o ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++
    p ++++++++++++
    q ++
    r ++++++++++++++++
    s ++++++++++++++++
    t +++++++++++++++++++++++
    u ++++++++++++++++
    v ++++
    w
    x
    y
    z +
    Er zeigte auf die letzten vier Buchstaben. »Das ist das Tal der Buchstaben w, x, y und z zwischen den Bergen des u und des v und denen des a und des b.«
    Ferigo hielt die Tafel vor das Alphabet auf der vierten Leinwand.
    »In der polyalphabetischen Substitution finden wir dasselbe Tal auf den Buchstaben e, f, g und h. Hier ist sie.«
    a
    b +++++++
    c ++++
    d ++
    e
    f
    g
    h +
    i +++++++
    j
    k
    l +
    m +++++++++
    n
    o +
    p
    q ++++++
    r
    s
    t ++
    u
    v ++
    w ++++
    x
    y +
    z ++
    Der junge Mann machte eine Pause.
    »Also?«
    »Also muss der vierte Buchstabe des Schlüssels   …«, der Junge zögerte unsicher, dann fasste er sich, »…   das i sein.« Und mit diesen Worten zeigte er auf den entsprechenden Buchstaben.
    Der alte Chiffreur setzte seine Mütze auf und warf sich den Mantel über die Schultern. »Ich mache einen Abstecher in die Küchen, um meine inneren Stimmen zu beruhigen, und wenn ich zurückkomme, möchte ich das Schlüsselwort in seiner ganzen Klarheit und Wahrheit hier geschrieben sehen.«
    Darauf öffnete er beide Türflügel, ging hinaus und schloss sie hinter sich. In der Sala Orba hörte man nur das Geräusch zweier Umdrehungen des Schlüssels.
    »Er hat uns eingeschlossen!«, rief Pietro entgeistert.
    »Tja. Das hat er immer getan, als ich ein Kind war«, sagte Ferigo ergeben. »Aber er wird bald zurück sein«, und mit diesen Worten hatte er sich schon mit der Kohle in der Hand zu einer der Leinwände umgedreht und angefangen zu schreiben.

70
    Im Dogenpalast herrschte an diesem Tag ein geschäftiges Treiben. Andrea hatte es schon bemerkt, als er an die Scala dei Censori kam, wo eine Menge Arbeiter die Stufen hinauf- und hinabliefen wie Ameisen, deren Wege sich vor dem Bau kreuzen. Die Hinuntergehenden, deren Hände und Gesichter voller Kalkstaub waren, trugen Bohlen und Balken, verbogene Bleiplatten, Brocken aus Putzgeflecht, Eimer voller Backsteine und Verputz. Jene, die hinaufstiegen, schleppten neue Balken und Bretter, Röhricht, Säcke mit Mörtel, Ziegelsteine und Stroh.
    Andrea hatte nach dem Grund für diese Geschäftigkeit gefragt, und als er die Antwort vernommen hatte, war er die Treppe hinaufgeeilt. Im Stockwerk der Loggien war er auf das gestoßen, was er befürchtet hatte. Soeben kam der Anwalt Giacomo Zon, sein betagter Kollege, ein untersetzter, rundlicher Mann in schwarzer Robe und mit einer Mütze auf dem fast kahlen Kopf aus dem kleinen Saal der Gefängnisanwälte, auf dem Arm einen Stapel tropfnasser Dokumente.
    »Das Dach ist eingestürzt, hochgeschätzter Kollege«, sagte er und fixierte Andrea mit seinen schlauen Augen. »Ich habe einen Boten schicken lassen, um dich aus der Locanda zu holen, aber er ist allein zurückgekommen.«
    »Ich war in Murano«, antwortete Andrea atemlos nach den zwei im Lauf genommenen

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