Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Aedibus Alexandri de Paganinis. Die
XIIII. Mensis Maii, M. D. XIII
Es war das Buch, das Alessandro Paganini Lucrezia geschenkt hatte.
»Wer hat Euch das gegeben?«, fragte Andrea.
Eine schmerzverzerrte Grimasse entstellte Rossos Gesicht. »Ist es so wichtig für Euch, das zu erfahren?«
Andreas strenges Schweigen zwang ihn zu antworten.
»Eine Nonne der Celestia. Sie gab es mir für fünfhundert Dukaten …«
In diesem Moment begann die ganze Sultana zu beben. Ein Schrei ertönte. Das Deck dröhnte von den Schritten Hunderter Männer, die sich aufeinander stürzten, und auch die Matrosen, die mit dem Wasserabschöpfen beschäftigt waren, griffen zu ihren Waffen und eilten an Deck.
Die Fanti da Mar, die Matrosen und die Ruderer von Sebastiano Venier hatten abermals geentert, das Abschlachten begann von neuem. Bernardo fand sich im Zweikampf mit Hassan Agà Veneziano wieder, sein Knüppel gegen dessen Krummschwert. Die Venezianer kämpften sich bis zum Großmast vor, dann rief jemand einen Befehl, und wie bei einem Hofball drehten Sipahi und Janitscharen sich um sich selbst und warfen sich zu Boden. Hinter ihnen tauchte eine neue Reihe Soldaten auf, die dieganze Breite der Galeere einnahm. Jeder zückte eine große Armbrust mit verlängertem Lauf.
»Sie feuern!«, schrie Bernardo. »Zurück! Zurück!«
Die türkischen Armbrustschützen spannten, die Stangen glitten in die Läufe, die Mischung aus Schwefel, Harz und Pech entzündete sich, und aus den Mündern kamen Wellen silberner Flammen, die die gesamte vorderste Linie der Christen erfassten und sich wie Kleider um ihre Körper legten. Viele schrien. Glühende Silhouetten stürzten sich ins Wasser. Andere fielen und verbrannten an Deck. Eine zweite Reihe Armbrustschützen drang auf die Kämpfenden ein, die sich in die äußerste rechte Ecke des Decks zurückgezogen hatten. Wieder flogen die Flammen, während die Sultana sich unter dem Gewicht der Menschen neigte und umzukippen drohte.
Im Kielraum schwappte das Wasser schäumend an die Bootswand, und alles, was nicht festgemacht war, rutschte und rollte von links nach rechts. Bepo Rosso schlug hart gegen die Wand des Gefängnisses. Andrea dagegen konnte sich am Gitter festhalten und hing nun in der Luft. Einer der großen Notanker löste sich aus der Halterung und fiel auf die Zelle, wo er zwischen den Gitterstäben steckenblieb. Die Galeere richtete sich wieder auf.
Andrea begriff sofort, dass dieser Anker ihre Freiheit bedeutete. Als das Schiff wieder gerade lag, packte er das Eisen, drehte es, damit der Schaft zwischen den Stäben hindurchglitt, und schuf so einen starken Hebel. Daran begann er mit aller Kraft zu ziehen. Die Gitterstäbe bogen sich leicht. Bepo half, er war kräftiger und schwerer. Die Stangen knickten, die Angeln im Holzrahmen der Gittertür lösten sich, es gab einen Knall, und sie waren frei. Bepo blickte sich im Kielraum um. Über ihnen lag die Luke zur Ankerkoje. Er prüfte ihre Fassung aus Eisen. Dann griff er nach einer der mit Kork ausgepolsterten Westen, die den Matrosen bei Stürmen die Illusion vermittelten, überleben zu können, und gab sie Andrea.
»Zieht sie über, schnell!« Er hatte zu seinem entschlossenen Kommandoton zurückgefunden.
»Was wollt Ihr tun?«
»Ich gehe zu meinem Sohn«, sagte der Werkmeister.
Andrea ergriff seinen Arm. »Sie werden Euch töten.«
Bepo zeigte auf das dunkle Gelass der Ankerkoje. »Bleibt dort, das ist der am besten geschützte Raum des Schiffes.« Er drückte Andreas Arm. »Gott möge Euch helfen. Vergebt mir.« Andrea sah ihn eine Eisenstange aufheben und durch das Wasser, das ihm bis an die Waden reichte, zum Heck gehen. Ein kräftiger Stoß, und die Decksluke öffnete sich. Er verschwand.
Das Buch und der Behälter lagen noch auf der Pritsche. Andrea steckte das Buch in das Kästchen, schloss den Deckel, verstrich den Rest Fett und schnallte sich den Behälter mit den Riemen auf den Rücken. Dann zog er seinen Kittel an und darüber die Korkweste. Das Dunkel der Ankerkoje verschluckte ihn. Über ihm tobte unvermindert der Schlachtlärm.
Bepo erreichte die Schottwand mittschiffs. Die Tür stand offen. Die der Pulverkammer ebenfalls. In der Kammer stand Wasser, alles war wild durcheinander geworfen. Die Pulverfässer hatten sich mit Wasser vollgesogen. Er öffnete eines. Die erste Schicht Pulver war noch trocken. In einer Kiste, die in einem Netz über ihm lag, fand er drei Brandflaschen, zwei große und eine kleine,
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