Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Vater ist Tuchhändler und besitzt viel Land. Anna ist im vergangenen Juli dank der Bürgschaft ihres Onkels, Ser Tommaso Tagliapietra, in das Kloster aufgenommen worden.«
Andrea musterte den Sekretär, um in den Winkeln dieses Gesichts die Bereitschaft zu entdecken, das Gespräch fortzusetzen. Er wollte auf einige Fragen zu sprechen kommen, die ihm am Herzen lagen.
»Warum habt Ihr mich vor Ser Catanio gewarnt?«
Formento antwortete nicht sofort.
»Weil ich Euch schätze und gern habe. Für mich sind die Loredan wie eine zweite Familie. Und der Beamte vom Criminal schien mir höchst voreingenommen gegen Euch.«
»Meint Ihr? Ich hatte durchaus nicht den Eindruck, im Gegenteil …«
Formento kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Ihr hättet ihn nach dem Verhör des Priors hören sollen.«
»Ich bitte Euch, erklärt es mir.«
Der Sekretär wehrte ab. »Ihr wisst, dass ich das nicht darf. Alles steht unter Geheimhaltung.« Das sagte er mit einem scheelen, fast ängstlichen Blick, der vollends deutlich machte, wie gefährdet der Damm dieses Schweigegebots war.
»Ich frage Euch nicht nach Einzelheiten, verehrter Segretario«, Andrea betonte die letzten beiden Worte und wagte einen Ausfall, »sondern nur nach dem Sinn dessen, was der Prior gesagt hat, im Namen unserer Freundschaft.« Er sagte das besonders ungezwungen, bemüht, jede Spur des Ekels zu verwischen, den diese Behauptung in ihm auslöste.
Die Wirkung zeigte sich augenblicklich.
»Ihr schmeichelt mir.« Formento verbeugte sich. »Doch Ihr müsst mir versprechen, dass das, was ich sage, unter uns bleibt. Prior Dardano ist von missgünstigem Wesen, und ich möchte ihn mir nicht zum Feind machen.«
»Ihr habt mein Wort«, versprach Andrea eilig, und der Sekretär wollte gerade beginnen, die Haltung des Priors zu beschreiben, als die Gruppe der Nonnen, die vom Ufer der Croce zurückkehrten, sich ihnen näherte.
»Nicht hier. Kommt mit mir, dann werde ich Euch berichten«, sagte Formento höflich mit leiser Stimme. »Meine Gondel für die Rückkehr nach San Marco erwartet mich.«
35
Zaneto ruderte geschmeidig, links am Heck stehend. Er hielt das Ruder mit beiden Händen und holte mit dem ganzen Körper aus, auf dem linken, vorgestreckten Bein stehend, das rechte, hintere, bildete das Gegengewicht. Unablässig wiegte er sich vor und zurück.
Die Gondel glitt eine halbe Ruderlänge an einer riesigen Karacke vorbei, die vor der Dogana da Mar lag. Von der zweiten Septemberhälfte bis Mitte Oktober kamen fast täglich große Handelsflotten aus dem Osten an, und die Zollbehörde an der Punta della Dogana im Sestiere Dorsoduro war der erste unvermeidliche Kontakt mit venezianischem Boden.
Der wachhabende Matrose auf der Karacke stieß einen Pfiff aus und schwenkte die Laterne. Zaneto antwortete mit zwei Pfiffen, die universale Sprache der Seeleute, die mit leichten Variationen von den Antillen bis zum Chinesischen Meer gesprochen wird.
Andrea, der auf der gepolsterten Bank der Gondel saß, hatte bereits nach der Hälfte der Fahrt von Formento einen detaillierten Bricht über die Verhöre bekommen, die die Zonta unter dem Vorsitz von Alvise Catanio über den Tod der Novizin durchgeführt hatte. So viel Offenherzigkeit von Seiten des Sekretärs weckte in ihm den Verdacht, dass Formento nur sprach, um nichts zu sagen.
Denn recht besehen, hatte Andrea sich das, was er jetzt über den Prior Gabriele Dardano wusste, bereits denken können, und Dardano selbst hatte es ihm angedeutet. Der von vielen als Heiliger angesehene Mann war überzeugt, dass mit Wissen und Stillschweigen der anderen Nonnen der Celestia, für die derartige Abenteuer wahrhaftig nichts Neues waren, zwischen Andrea Loredan und Anna Tagliapietra eine intensive Liebesbeziehung bestanden hatte, die wer weiß wann begonnen und auf diese tragische Weise geendet hatte. Andererseits war es nicht das erste Mal in der Geschichte der Serenissima, dass ein Sohn des Dogen sich in eine Nonne der Celestia verliebte.
Nach Aussage des Priors konnte dies mehrere Ereignisse erklären, die Andrea auf ganz andere Weise darzustellen bestrebt gewesen war. Beginnend damit, dass er nach der Explosion des Arsenale ausgerechnet zur Kirche der Celestia gelaufen war. Der Prior war zu dem Schluss gekommen, dass die Novizin, als sie entdeckt hatte, dass sie die Frucht dieser Beziehung im Schoß trug, Andrea eingeweiht und von ihm eine harsche Abfuhr bekommen hatte. Der tragische Epilog konnte also,
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