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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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erbitterte Gefechte in den Straßen. Inzwischen hatte man fast alle wertvollen Dinge in den befestigten Teil des Palastes gebracht oder noch weiter den Hügel hinauf in den Tempel des Sonnengottes. Für Troia hörte die Belagerung nicht mehr auf.
    Einmal umgingen die Achaier die Stadt, plünderten am Ida, und noch ehe das troianische Heer ausrücken konnte, hatten sie viele Rinder und die meisten Schafe des Priamos geraubt. Kassandra befand sich zu dieser Zeit gerade im Tempel und zählte Ölkrüge. Dabei fiel ihr auf, daß die Zahl und Qualität der Opfergaben zurückgegangen waren. Plötzlich erfaßte sie so heftiger Zorn, Kummer und Verzweiflung, daß sie einen lauten Klageschrei ausstieß. Sie verstand nicht, was mit ihr los war. Aber dann erkannte sie dieses besondere starke Gefühl, das sie immer mit ihrem Zwillingsbruder in Verbindung brachte. Sie - vielmehr er - stand am Berg und vor ihr lag die Leiche des alten Hirten Agelaos, die bereits Schwärme summender Fliegen bedeckten.
    »Es sieht so aus, als hätte er seinen alten gebrechlichen Körper zwischen die Herden meines Vaters und Agamemnons Räuber geworfen«, murmelte Paris. Kassandra hatte den alten Mann nur einmal kurz bei den Spielen gesehen, als Paris von Priamos wieder aufgenommen worden war. Aber sie spürte den ganzen Schmerz und Zorn ihres Bruders.
    »Er hatte keinen anderen Sohn. Ich hätte hierbleiben sollen, um ihn im Alter zu schützen«, sagte Paris schließlich und bedeckte den Leichnam behutsam mit seinem kostbaren Mantel. 
    Kassandra konnte sich in diesem Augenblick weit genug von ihrem Bruder lösen, um zu denken:  Wärst du doch bei ihm geblieben! Es wäre besser für dich gewesen, für Agelaos, für Oenone - und auch besser für Troia. 
    Paris ließ die Leiche in die Stadt bringen, und Priamos würdigte den alten, rechtschaffenen Hirten mit einem Heldenbegräbnis (er war den Heldentod gestorben, als er versuchte, die Herden des Königs zu schützen), mit einem Fest und mit Spielen. 

    Bei dem ersten Überfall waren ein paar Fremde auf dem Marktplatz erschlagen worden, und man hatte sie im Tempel des Hermes begraben, denn er war der Gott der Reisenden und Fremden. Aber niemand hatte ihre Leichen gefordert. Es hatte keine Trauernden gegeben und keine Zeremonien, abgesehen von denen, die notwendig waren, um die zornigen Geister der Toten zu beschwichtigen. 
    Der alte Hirte war als erster Trojaner in diesem Krieg gestorben, und zumindest Paris würde ihn nicht vergessen. Zum Zeichen der Trauer schnitt er sich die Haare ab, und als Kassandra ihn beim Namensfest von Kreusas erster Tochter sah, erkannte sie ihren Zwillingsbruder kaum wieder.
    »War das nötig? Er war doch nur ein Hirte«, sagte sie, »wenn auch ein alter verdienter. Trotzdem…«
    »Er war mein Ziehvater«, entgegnete Paris, »in meiner Kindheit kannte ich keinen anderen Vater.« Er hatte rot verweinte Augen. Kassandra wußte nicht, daß ihm etwas so nahegehen konnte. »Die Götter mögen mich vergessen, wenn ich je vergesse, sein Andenken in Ehren zu halten.«
    »Ich wollte nicht sagen, daß er deiner Trauer nicht würdig ist«, erklärte Kassandra und spürte in diesem Augenblick mehr als je zuvor, daß Paris wirklich ihr Bruder war. Sie hatte seine Gefühle immer geteilt und war der unerwünschte Eindringling gewesen; jetzt begann sie, ihn als Menschen kennenzulernen - mit Fehlern und auch Tugenden; sie konnte ihn auch ein wenig verstehen.
    Sie standen noch zusammen, als wieder Alarm gegeben wurde. Frauen und Kinder eilten schutzsuchend in die Festung. Kassandra kümmerte sich um die Frauen mit Säuglingen und kleinen Kindern. Paris eilte mißmutig davon, um sich zu bewaffnen und zu Hektors Männern zu stoßen. Am Stadttor gab es eine Treppe, die in der großen Mauer nach oben führte. Dort sammelten sich die Anführer. Kassandra beobachtete die Soldaten und dachte:  Paris wäre vielleicht glücklicher, wenn wir die Plätze tauschen könnten.
    Sie war den ganzen Tag damit beschäftigt, die Frauen und Kinder zu unterhalten und für Ruhe zu sorgen; das Eingeschlossensein machte alle reizbar, und Kassandra fragte sich manchmal, ob die Männer es nicht einfacher hatten, denn sie waren dort draußen und hatten ein Ziel, auf das sie schießen konnten. Es wäre bestimmt ein Vergnügen, dachte sie, ein paar dieser schrecklich schreienden Bälger aus dem Fenster zu werfen - dann rief sie sich zur Ordnung: Die Kinder hatten ihr nichts getan. Sie benahmen sich nur, wie Kinder es

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