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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Kassandra erinnerte sich unbestimmt daran - es gehörte zu ihre ersten Erinnerungen als Kind -, daß Hekabe vor der Geburt von Troilus das ebenfalls getan hatte. ln Troia war es ein alter, jedoch halb vergessener Brauch, den man ohne größeres Zeremoniell beachtete. Wenn die Königin sich in den Straßen zeigte, liefen immer Frauen herbei und baten um ihren Segen. In Kolchis wurde die Sitte nach alter Weise gepflegt, und so überraschte es Kassandra nicht, daß eine richtige Prozession stattfand. Offenbar hatte man bis zum letzten Augenblick gewartet; die Geburt mußte unmittelbar bevorstehen. Imandra konnte nicht mehr gehen, sondern mußte in einer Sänfte getragen werden. Und Arikia, die Vertreterin der Schlangenmutter auf Erden, sollte ebenfalls durch die Straßen getragen werden, wobei die Schlangen der Weisheit sie von Kopf bis Fuß schmücken würden, so daß allen Frauen der Stadt nicht nur der Segen der schwangeren Königin, sondern auch der Segen der Schlangenmutter zuteil würde.
    »Warum gerade jetzt? Will man, daß die Wehen der Königin auf der Straße einsetzen?« fragte Kassandra.
    »Das ist schon vorgekommen«, erwiderte Arikia. »Es wäre nicht das erste Kind einer Königin von Kolchis, das in den Straßen der Stadt zur Welt kommt. An der Prozession werden viele Hebammen vom Hof teilnehmen. Die Astrologen der Königin haben herausgefunden, daß es ein günstiger Tag ist. Und je naher die Geburt bevorsteht, desto mehr Segen kann die Königin natürlich gewähren.« 
    »Ja, natürlich.« Das verstand Kassandra. Die Prozession sollte an diesem Morgen stattfinden, und Kassandra half den anderen Priesterinnen dabei, Arikia anzukleiden und zu schmücken. Sie legten ihr die mächtige Schlangenherrscherin um die Hüfte und zwei kleinere Schlangen um die Arme. Die Prozession würde für die alte Frau sehr anstrengend sein, denn sie mußte die Schlangen hochhalten, damit das Volk sie sah. 
    Kassandra wünschte, sie als Jüngere und Kräftigere könne Arikia diese Aufgabe abnehmen. Sie sagte das auch, aber die alte Priesterin erwiderte nur: »Für die Königin ist es noch mühsamer, Liebes. Imandra ist so dick wie eine Python, die eine Kuh verschluckt hat. Vielleicht kannst du mich das nächste Mal vertreten. Imandra ist meine alte Freundin, und ich freue mich, bei ihrer Prozession dabeizusein. Auch zu dir ist sie sehr freundlich gewesen. Bitte noch etwas mehr Rot auf meine linke Wange, und die zerstoßenen Kräuter müssen in der Räucherpfanne verbrannt werden. Die Schlangen lieben diesen Geruch, und er macht sie sehr viel friedlicher. Wirst du mich begleiten, Kassandra? Du kannst die Räucherpfanne überwachen und dich bereithalten., um mir die kleineren Schlangen abzunehmen, wenn sie unruhig werden sollten. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber natürlich immer möglich.«
    Kassandra wußte, das war eine besondere Auszeichnung, um die sie die anderen Priesterinnen beneiden würden. Aber einer troianischen Prinzessin ließen sie natürlich ehrerbietig den Vortritt. Sie verließ rasch das Gemach und zog ihr bestes Ritualgewand an. Sie legte sich zwei oder drei kleinere Schlangen um die Arme und band zwei andere so um die Stirn, daß sie eine Krone bildeten. So geschmückt (sie dachte:  Vielleicht war eine solche Schlangenkrone das Vorbild für die Statuen der legendären Medusa ), trat sie in den Vorhof des Tempels hinaus, und als man Arikia auf die Sanfte hob, stieg sie zu ihr hinauf.
    Es war kalt. Durch die Straßen blies zwischen den hohen Gebäuden ein scharfer Wind. Von den Bäumen und Büschen waren schon alle Blätter abgefallen. Arikia saß auf ihrem Thron und hielt die Schlangen hoch, so daß die Frauen auf den Straßen sie sehen konnten. Imandras Sanfte wurde vor ihnen hergetragen. Kassandra sah die hochschwangere Königin, der die Haare offen über die Schultern fielen. Die Frauen drängten sich in den Straßen - viele waren schwanger -, liefen herbei, drängten sich zwischen den Wachen hindurch, hoben die Arme und flehten um den Segen.
    Der kalte Wind ließ Kassandra frösteln. Sie war dankbar für die Schlangen, die sich um ihre Arme wanden und einen gewissen Schutz boten. Die Tiere regten sich nicht.  Sie mögen die Kälte ebensowenig wie ich , dachte Kassandra und sehnte sich nach der warmen Sonne ihrer Heimat.
    Sie blickte auf die große Gestalt der Königin in der Sanfte, die vom mächtigen Zauber und Glanz der Göttin überschattet war, und fiel beinahe in Trance. Die Frauen am

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