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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Kind gesehen und teilst meine Freude deshalb nicht?«
    Kassandra fuhr zusammen. Sie hatte befürchtet, ihren Kummer vor Imandras scharfen Augen nicht verbergen zu können. »Nein, Tante, ich freue mich aufrichtig über dein Glück«, beteuerte sie. »Ich kann dir nicht sagen, wie groß meine Freude darüber ist, daß du gesund bist und daß es dir gutgeht. Aber ich habe immer rote Augen, wenn ich so wenig schlafe wie in dieser Nacht. Und …«
    Sie zögerte, die Stimme versagte ihr. »Die Götter haben mir ein schlimmes Omen für Troia geschickt. Man braucht mich dort. Ich bitte dich, Tante, erlaube mir, sofort aufzubrechen.«
    Imandra wirkte traurig, aber der Schmerz in Kassandras Gesicht besänftigte sie. Sie erwiderte: »Bei diesem Wetter? Der Winter ist nahe, und die Reise wäre schrecklich, lch hatte gehofft, du würdest bei mir bleiben und mir helfen, meine Tochter zu erziehen. Ich hatte wenig Glück, Andromache zu meiner Nachfolgerin auf dem Thron zu machen. Ich gebe wenig auf Orakelsprüche und Omen. Und doch kann ich dir an einem Tag, an dem die Göttin mir diese schöne Tochter geschenkt hat, nichts verweigern. Aber du mußt nicht mich, sondern die Schlangenmutter um Erlaubnis für die Abreise bitten. Nicht mir, sondern IHR hast du dich hier geweiht. Und du mußt zumindest so lange warten, bis ich Geschenke gefunden habe, die ich mit dir nach Troia schicken möchte - für Andromache, ihr Kind, für meine Verwandte Hekabe und nicht zuletzt auch für dich, meine liebe Tochter.«
    Kassandra hatte gewußt, daß dies unumgänglich sein würde, und sie redete sich ein, das Unheil, das sie vorausgesehen hatte, sei nicht so nahe, daß ein Tag und selbst eine Woche viel bedeuten könne. Die Pflichten der Verwandtschaft und der Höflichkeit durften nicht außer acht gelassen werden, da Königin Imandra so gut zu ihr gewesen war. Doch ihr Herz sträubte sich dagegen. Alles, was sie von Troia fernhielt, erschien ihr plötzlich hassenswert. Sie war sicher, daß Arikia ihr Treulosigkeit vorwerfen würde. Aber sie sah keinen Ausweg. Man hatte ihnen hier großzügig Wissen und Freundschaft geschenkt, und sie konnte sich nicht wie eine Diebin aus Kolchis davonstehlen.
    Also nahm sie sich zusammen und ging in den Tempel, um sich von der Schlangenpriesterin die Erlaubnis zur Abreise geben zu lassen.
    In der Nacht und wahrend des langen darauffolgenden Tages, als die Wagen, Tiere und Geschenke zusammengestellt wurden und alles, was sie auf dem langen Weg nach Troia benötigen würden, blieb Kassandra Zeit, sich wieder zu beruhigen - und sei es auch nur, weil sie nicht ständig in dieser fiebrigen Spannung von Angst und Schrecken leben konnte. Sie wußte zwar, daß die Götter sie nach Troia riefen, um ihr Schicksal zu erfüllen, wie immer es aussehen mochte, aber es kam ihr nicht in den Sinn, in Kolchis zu bleiben, um es dadurch zu vermeiden. Es gab viele Geschichten von Menschen, die selbstsüchtig glaubten, ihrem Schicksal zu entgehen, indem sie einer Aufgabe auswichen, damit aber unweigerlich das Schicksal herbeiführten, das sie fürchteten.
    Die Vision verhieß nicht den Untergang Troias; vielleicht verhieß sie sogar, daß Apollon den Krieg nicht duldete. Vielleicht würde ER die Kämpfenden sogar zu einer Art Waffenstillstand zwingen, und alles würde gut ausgehen.
    Kassandra tat es aufrichtig leid, Kolchis, die Freiheit und Ehre zu verlassen, die sie hier kennengelernt hatte. Aber schließlich machte sie sich drei Tage später hochgemut und froh - zumindest nicht traurig - auf den Rückweg.

18
    Sie brachen beim ersten Tageslicht auf. Königin Imandrahatte ihnen robuste Wagen zur Verfügung gestellt, die von Maultieren gezogen wurden. Kassandra ritt wieder ihren Esel. Die beiden Kammerfrauen saßen im ersten Wagen. Der Trupp zog durch die noch dunkle Stadt; nur aus einer Schmiede, in der eine muskulöse Schmiedin arbeitete, sprühten leuchtende Funken. Adrea und Kara waren überglücklich, weil es wieder in Richtung Heimat ging, obwohl sie sich vor der langen Reise, vor gefährlichen Räubern und Kentauren, vor tief verschneiten Bergpässen und umherziehenden wilden Männern oder Frauen fürchteten, die vielleicht glauben würden, sie hatten Reichtümer bei sich - oder für die ihre Nahrungsvorräte, Kleider und Geschenke Reichtum genug waren.
    Kassandra ritt schweigend neben dem Wagen. Ihr fehlten bereits ihre Freunde unter den Menschen und Tieren im Tempel der Schlangenmutter. Es tat ihr leid, Imandra verlassen zu

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