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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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der Mauer und fragte: »Möchtest du dir das Lager der Achaier von dort oben auf der Mauer ansehen? Du kannst alles beobachten, was dort geschieht. Der König wird bald erscheinen - er kommt jeden Tag ungefähr um diese Zeit und steigt auf die Mauer«, sagte Deiphobos, »ich höre schon die Leibwache.« Er blickte auf Biene. »Die Kleine ist hier sicher«, sagte er, »sie ist groß genug, daß niemand mehr auf sie tritt.« Er griff nach einem kurzen Speer, der an der Wand lehnte, und steckte ihn in den Gürtel. »So, jetzt gibt es nichts mehr, womit sie sich verletzen könnte. Komm mit, Schwester. «
    Kassandra stieg hinter ihm die steilen, engen Stufen hinauf. Oben angekommen, drehte er sich um und reichte ihr helfend die Hand. Ja, von hier überblickte man das ganze achaische Lager. Deiphobos zeigte ihr das große prunkvolle Zelt, das Agamemnon gehörte, und das etwas kleinere, allerdings noch prunkvollere von Achilleus und Patroklos. Odysseus schien eine Schiffskabine an Land gebracht zu haben. 
    »Wir haben eine lange Liste der Schiffe da draußen, die den Achaiern gehören - ein Sänger hat ein Lied darüber gemacht«, erzählte Deiphobos, »wenn man ihm zuhört, könnte man glauben, jeder Held vom Festland sei hierhergekommen, um Agamemnon und seine Truppen zu unterstützen. Die Liste unserer Verbündeten ist auch beachtlich, aber vermutlich interessieren dich solche Dinge nicht.«
    »Nicht besonders«, gestand Kassandra, »in Kolchis habe ich genug über beide Seiten gehört.«
    »Kolchis«, sagte Deiphobos nachdenklich, »da wir schon davon sprechen. Wer ist eigentlich König in Kolchis? Warum ist er nicht mit seinen Truppen hier?«
    »Weil Kolchis keinen König hat«, erklärte Kassandra, »dort herrscht eine Königin. Sie war schwanger und hat kurz vor meiner Abreise die Thronfolgerin geboren.«
    »Kein König? Und eine Frau regiert? Das kommt mir aber sehr merkwürdig vor.«
    Ehe er noch etwas sagen konnte, wurden sie von der Leibwache des Königs unterbrochen, in deren Mitte Priamos auf der Mauer erschien. Kassandra kannte viele der Soldaten - es waren die Söhne seiner Palastfrauen.
    Zum Glück war sie durch ihre Visionen vorbereitet, sonst hätte sie ihren Vater vielleicht nur an seinem reich bestickten Mantel erkannt. Er war bei ihrer Abreise ein starker und gesunder Mann gewesen. Jetzt stand ein alter Mann vor ihr mit grauer, faltiger Haut, dessen eine Gesichtshälfte leblos und starr wirkte. Das Augenlid und der Mundwinkel hingen schlaff herunter. Er sprach schleppend und undeutlich.
    Er fragte Deiphobos: »Was war heute morgen im Lager der Achaier los? Haben sie wieder Waffen abgefangen? Wenn das so weitergeht, werden wir noch unsere alten Schwerter einschmelzen, um neue schmieden zu können. Wir könnten gut ein paar Wagen voll Eisen aus Kolchis gebrauchen. Aber dazu müßten wir wohl einen besonderen Geleitschutz organisieren oder jemanden bestechen, damit die Wagen auch durchkommen …«
    Er brach ab und sagte: »Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß Frauen hier nichts zu suchen haben, wenn die Königin nicht selbst hier ist, um dafür zu sorgen, daß sie sich benehmen. Du weißt so gut wie ich, die Frauen, die hierherkommen, um die Soldaten anzugaffen…«
    Kassandra fiel ihm ins Wort: »Nein, Vater, Deiphobos trifft keine Schuld. Er hat mir angeboten, mich im Schatten auszuruhen und einen Blick von der Mauer zu werfen, nachdem die Achaier meine Wagen geplündert hatten…«
    Sie sprach nicht zu Ende. Das war auch nicht notwendig. Priamos erkannte sie und sagte: »Du bist also wiedergekommen,  wie ein schlechtes Omen, Kassandra. Ich dachte, du hättest dich entschlossen, den Rest des Krieges in Kolchis zu bleiben - eine Frau weniger, um die ich mir Sorgen machen müßte, falls die Stadt in die Hände der Feinde fällt. Aber deiner Mutter hast du gefehlt.« Er trat zu ihr und küßte sie pflichtschuldigst auf die Stirn. »Willst du sagen, die Achaier hätten gewagt, Apollons Frieden zu mißachten?«
    Als kleines Kind hatte Kassandra der Zorn ihres Vaters Angst eingejagt. Jetzt wirkte er auf sie nur noch griesgrämig und launisch wie ein verzogenes Kind. Sie meinte besänftigend: »Es ist nicht wichtig, Vater. Es ist niemand zu Schaden gekommen. Apollons Eigentum - ich nehme an, dazu gehöre ich auch - ist in Sicherheit. Sobald die Sänfte hier ist, werde ich Mutter besuchen.«
    »Du bist stark und gesund. Weshalb mußt du dich tragen lassen?« fragte er unwirsch.
    Der Krieg entwickelt sich

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