Die Feuer von Troia
nicht so, wie er wünscht, deutete sie seine Worte bei sich und sagte unterwürfig: »Ja, Vater, du hast sicher recht.«
»Die Sänfte wartet«, rief Deiphobos, und Kassandra sah sie an der Innenseite der Mauer stehen. Sie stieg die Treppe hinunter und nahm Bienchen auf den Arm. Sie wünschte, es wäre möglich gewesen, das Kind waschen und füttern zu lassen, ehe sie es zu ihrer Mutter brachte. Aber das ging jetzt einfach nicht. Auch ihr sah man die lange Reise und das Zwischenspiel im staubigen achaischen Lager an. Außerdem hatte Biene sie schmutzig gemacht, als sie auf ihrem Arm saß. Aber auch das ließ sich jetzt nicht ändern. Und weshalb sollte ich für Mutter mein bestes Gewand anziehen und mir Hände und Gesicht waschen? fragte sie sich. Aber als man sie zu Königin Hekabe führte und sie den mißbilligenden Blick der Mutter sah, wußte sie bereits, was kommen würde.
»Oh, Kassandra! Meine liebe, liebe Tochter!« rief Hekabe, eilte zu ihr und umarmte sie, verzog aber sofort das Gesicht und wich leicht erschrocken zurück.
»Aber was hast du denn gemacht, Liebes? Dein Kleid ist eine Schande und deine Haare…«
»Mutter, nach meiner Begegnung heute morgen mit den Achaiern ist es ein Glück, daß mir überhaupt noch ein Kleid geblieben ist, mit dem ich dir unter die Augen treten kann«, erwiderte sie lächelnd, »leider sind die meisten Geschenke, die ich dir von Königin Imandra mitgebracht habe, im Lager der Achaier geblieben.«
Hekabe sah sie gequält an. »Sie haben dich doch nicht …«
»Niemand hat mich vergewaltigt, wenn du das meinst«, sagte Kassandra lachend.
»Wie kannst du über so etwas lachen?«
Kassandra küßte sie und sagte: »Was kann ich anderes tun als lachen? Sie sind alle Dummköpfe. Aber so gesehen, gibt es auch in Troia genug Narren. «
Hekabes Blick richtete sich jetzt auf das Kind an Kassandras Seite. »Was ist das? Ein Kind? Noch dazu ein so kleines… Die Haare, sie ringeln sich wie deine in diesem Alter… Wieso, was… Wer … Wie?«
»Nein, Mutter«, sagte Kassandra schnell, »es ist nicht mein Kind. Das heißt, ich habe es nicht geboren. Es ist ein Findelkind.«
Hekabe sah sie immer noch zweifelnd an, und Kassandra seufzte. Warum war ihre Mutter immer bereit, das Schlechteste von ihr zu denken? Sie seufzte und sagte: »Glaubst du, es wäre leicht, einen Mann zu finden, der das Bett mit mir teilt, wenn eine Schlange darin liegt und sei sie auch so klein wie diese?« Sie griff in das Kleid und zog die Schlange hervor, die sie tagsüber immer dort trug.
Hekabe stieß einen spitzen Schrei aus. »Eine Schlange - an deinem Busen!«
»Sie ist weit mehr mein Kind als das Mädchen«, sagte Kassandra lachend, »denn sie ist an meiner Brust aus dem Ei geschlüpft. Jeder in meinem Gefolge kann dir erzählen, wie ich die kleine Biene im Schneetreiben auf einem Hügel gefunden habe, wo eine Mutter sie dem sicheren Tod überlassen hatte, weil sie vermutlich kein Mädchen großziehen wollte.«
Hekabe betrachtete das kleine Mädchen aufmerksam. Sie sagte: »Bei näherem Hinsehen sieht sie dir überhaupt nicht ähnlich. «
»Das habe ich dir doch gesagt.«
»Das hast du. Es tut mir leid. Ich würde nur ungern glauben… « Vielleicht nur ungern, aber geglaubt hättest du es , dachte Kassandra. Aber dann stellte ihre Mutter die Frage, die Kassandra gefürchtet hatte. »Wo sind Kara und Adrea?«
»ln den Zelten von Agamemnon und Achilleus«, antwortete sie, »aber nicht aus freien Stücken.« Sie erklärte ihrer Mutter, was geschehen war.
»Also müssen wir sie irgendwie freikaufen oder vielleicht gefangene Achaier gegen sie austauschen«, sagte sie.
»Austauschen? Warum sollten wir mit den Achaiern verhandeln?« fragte eine vertraute Stimme, und Andromache betrat das Gemach. »Kassandra, meine liebe Schwester!« Sie eilte auf Kassandra zu und umarmte sie, ohne auf das schmutzige Gewand zu achten. »Du bist also zurückgekommen! Ich wußte, du bist keine Verräterin und würdest den ganzen Krieg über in Kolchis bleiben! Was für ein süßes Kind!« rief sie und sah Biene an. »Ist sie deine Tochter? Nein? Wie schade!« Sie entdeckte die Schlange und wich zurück. »Also spielst du immer noch mit Schlangen wie früher. Ich hätte es mir denken können.«
Als Biene die Schlange sah, begann sie zu schreien und streckte die Hände danach aus. Kassandra erlaubte ihr lachend, sich die Schlange um die Hüfte zu legen. Andromache schlug vor Entsetzen die Hände vor das
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