Die Feuer von Troia
und opferten Apollon bis zum Morgengrauen. Das war ihnen eine Lehre. Sie werden so schnell nicht wieder auf die Mauern klettern, wenn sie glauben, unsere Wachen würden schlafen.«
»Du hast nie Waffen getragen, aber inzwischen bist du recht kämpferisch geworden«, stellte Kassandra fest.
»Ich muß ein Kind schützen«, erwiderte Andromache, und Kassandra dachte daran, daß auch sie bereit gewesen war zu töten, als die Soldaten Bienchen bedrohten.
»Meine vielen Kinder sind alle alt genug, um selbst zu kämpfen«, sagte Hekabe. »Kassandra, du bist durch das Land der Amazonen gekommen. Bist du meiner Schwester begegnet? Hat Penthesilea dir eine Nachricht für mich mitgegeben?«
»Ich habe sie nur auf dem Hinweg gesehen«, erwiderte Kassandra und erzählte Hekabe von der Begegnung mit den Amazonen und daß inzwischen viele Frauen freiwillig ständig bei den Männern in den Dörfern lebten. Dann berichtete sie von den hungernden Kentauren, die sie auf der Rückreise gesehen hatte, daß sie aber die Amazonen nicht mehr zu Gesicht bekommen. hatte.
»Möge die Göttin Penthesilea schützen«, wünschte Hekabe inbrünstig. »Ich habe nicht das Gefühl, daß sie tot ist, und ich glaube, ich wüßte es. Wir sind uns immer so nahe wie Zwillinge gewesen, obwohl sie vier Jahre jünger ist als ich. Es ist durchaus möglich, daß wir sie eines Tages hier in Troia sehen werden.«
»Möge dieser Tag fern sein«, sagte Kassandra, »denn sie verabschiedete sich von mir mit den Worten, wenn uns die Niederlage drohe, werde sie kommen und ihr Leben in Troia beenden.« Die Sonne schien hinter einer Wolke zu verschwinden, und Kassandra sah Penthesilea in Troia einreiten… siegreich oder geschlagen? Sie wußte es nicht; die Vision war blitzschnell zu Ende, und sie sprachen von anderen Dingen.
Schließlich stand Kassandra auf und reckte sich. »lch sitze wie eine alte Klatschbase hier herum«, sagte sie, »und dabei erwarten mich meine Pflichten im Tempel des Sonnengottes. Aber es hat mir gutgetan, so ausgiebig mit euch zu plaudern« -damit meinte sie Frauendinge wie Kindererziehung. Früher hatte sie solche Gespräche immer furchtbar langweilig gefunden. Aber seit sie selbst für ein Kind zu sorgen hatte, begriff sie allmählich, daß solche Gespräche eine Frau völlig gefangennehmen konnten.
Aber ein ganzes Leben lang über nichts anderes zu reden?
»Du kommst nicht jeden Tag von einer so langen Reise zurück«, sagte Andromache. »Helena wird dich auch sehen und dir die Zwillinge zeigen wollen, und Kreusa möchte dir sicher die kleine Kassandra vorstellen. Sie ähnelt mehr Polyxena als dir. Sie hat rote Haare und blaue Augen und ist so hübsch, als habe Aphrodite ihr die Schönheit als Geschenk in die Wiege gelegt. Sie wird einmal einen Prinzen heiraten, wenn ein Mann diesen Krieg überlebt, der dann noch heiraten möchte.«
»Ich glaube, niemand wird mein Bienchen je als Schönheit betrachten. Aber vermutlich ist für eine Mutter auch das häßlichste Kind hübsch. Wenn die Götter gnädig sind, möchte ich sie jedenfalls zu Penthesilea schicken, damit sie als Kriegerin aufwächst. Ich wünsche mir immer noch, eine Amazone zu sein.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein, Kassandra«, rief Hekabe, trat zu ihr und umarmte sie zum Abschied.
»Wirklich nicht? Mutter, wenn die Achaier eines von Imandras Geschenken übersehen haben, werde ich es dir schicken, sobald die Wagen entladen sind«, sagte sie und verabschiedete sich. Andromache bestand darauf, sie ein Stück zu begleiten.
»Ich verlasse den Palast so selten, und Hektor macht sich immer Sorgen, wenn ich allein durch die Straßen gehe. Aber er kann nichts dagegen haben, wenn ich seine Schwester begleite«, klagte sie unzufrieden. »Manchmal gehe ich mit Helena spazieren, aber heute ist sie nicht gekommen. Paris ist beim letzten Gefecht leicht verwundet worden… . nichts Ernstes, aber er hat eine gute Entschuldigung, um im Palast zu bleiben und sich verwöhnen zu lassen. Sonst hätte er sicher nicht versäumt, dich zu begrüßen. «
Andromache kehrte bald wieder um, und Kassandra stieg zum Tempel des Sonnengottes auf dem Hügel hinauf. Als sie über den Tempelhof zu ihren Schlangen ging, begegnete ihr Khryse. Er sah schlecht aus. In sein einst hübsches Gesicht hatten sich Falten eingegraben, und in den blonden Haaren zeigten sich graue Strähnen. Man konnte sich kaum vorstellen, daß viele im Tempel ihn einmal beinahe so schön wie den Sonnengott selbst gefunden
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