Die Feuer von Troia
Penthesilea und ihre Kriegerinnen in die Schlacht zogen. Die troianischen Streitwagen fuhren an der Spitze und griffen die achaischen Reihen mit Lanzen und Schwertern an. Die Amazonen jagten in donnerndem Galopp auf Achilleus und seine Männer zu.
Die Frauen auf der Mauer hörten deutlich den Aufprall der Lanzen. Als die Staubwolke sich lichtete, lagen zwei Amazonen auf der Erde; auch ihre Pferde waren gestürzt. Die eine sprang auf und stieß ihrem Angreifer den Speer in den Leib, die andere rührte sich nicht mehr. lhr Pferd rollte sich zur Seite und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Ein Achaier sah das und schnitt dem Tier die Kehle durch, kniete sich dann auf die gefallene Frau und versuchte, ihr die schöne Rüstung abzureißen. Kassandra sah, daß Penthesilea den ersten Angriff überlebt hatte. Ihr Pferd blutete von einer Speerwunde, hielt sich aber auf den Beinen.
Die Amazonenkönigin wendete das Pferd und trieb es geradewegs in das Gewimmel der Myrmidonen, die sich um Achilleus scharten, stieß sie mit dem Speer beiseite und tötete dabei viele. Kassandra sah genau, wann Achilleus sie bemerkte: Penthesilea durchbohrte einen Mann, der zu seiner Leibwache gehören mußte. Kassandra sah, wie er vom Streitwagen sprang, als fordere er die Amazonenkönigin auf, sich ihm im Zweikampf zu stellen.
Penthesilea richtete sich hoch auf und trieb ihr Pferd auf ihn zu. Achilleus stieß seinen Schlachtruf aus und sprang auf das Tier zu, das stieg, und stieß ihm den Speer in den Leib. Es stürzte zu Boden. Penthesilea sprang blitzschnell aus dem Sattel und stand mit gezücktem Schwert Achilleus gegenüber. Sie war größer als er und besaß eine größere Reichweite mit dem Schwert. Sie hieben so wild aufeinander ein, daß man die einzelnen Hiebe nicht verfolgen konnte. Achilleus schwankte und sank auf die Knie. Er gab sofort ein Zeichen. Seine Männer stürzten herbei und gaben ihm Deckung. Penthesilea wich bis zu ihrem toten Pferd zurück. Achilleus stand wieder auf den Beinen und schoß blitzschnell wie eine angreifende Schlange auf Penthesilea zu und durchbohrte sie mit dem Schwert. Penthesilea sank auf den Pferdeleib. Kassandra glaubte zu spüren, wie das Leben aus ihr wich. Achilleus bückte sich. Was tat der Verrückte? Er riß und zerrte wie rasend an ihrer Rüstung, warf sich auf sie und schändete vor aller Augen die Leiche.
Ein Ungeheuer! dachte Kassandra, Hätte ich doch meinen Bogen!
Achilleus richtete sich auf. Er hatte sein abscheuliches Werk zu Ende gebracht. Vier Amazonen griffen ihn an. Er tötete zwei mit dem Schwert, traf die dritte mit dem Speer, und dann bildeten seine Myrmidonen wieder eine lebende Mauer um ihn. Die verwundete Kriegerin taumelte, und einer seiner Männer machte sie nieder. Die restlichen Amazonen unternahmen den verzweifelten Versuch, Penthesileas Leichnam zu erobern. Aber sie waren hoffnungslos in der Minderheit, und nur wenig später lebte keine einzige Amazone mehr. Die Soldaten trieben die Pferde der Kriegerinnen zusammen und führten sie weg. Innerhalb einer Stunde war ein Stamm mit all seiner Kultur und all seinem Wissen ausgelöscht worden. Dieser Dämon Achilleus hatte einer Kriegerin, die gewagt hatte, ihn herauszufordern, die höchste Schmach angetan. Kassandra glaubte keinen Augenblick, daß ihn die Lust überkommen hatte. Es war ein kaltblütiger Akt der Verachtung gewesen.
Warum hat Apollon nicht SEINEN Pfeil abgeschossen und ihn auf dem Höhepunkt seines anmaßenden und maßlosen Stolzes tödlich getroffen?!
Apollon haßte ausschweifende Rache und sogar Ausschreitungen im Krieg. ER wäre der richtige Rächer gewesen. Kassandra hatte begriffen, Achilleus war kein ehrenhafter Gegner im Kampf. Er war wie ein tollwütiger Hund.
Aber die Götter sehen zu und tun nichts! Wenn Achilleus tatsächlich ein tollwütiger Hund wäre, käme jemand und würde ihn töten - nicht, um die Toten zu rächen, sondern um die Lebenden zu schützen und das arme Tier aus seinem Elend zu befreien.
Wenn Apollon nicht handelt, so habe ich doch nicht umsonst gelobt, IHM zu dienen - und sei es auch nur dadurch, daß ich tue, was ein unschuldigerer Diener von SEINEM Gott erwarten würde.
Zum ersten Mal seit dem Tag, an dem sie als junges Mädchen im Tempel gekniet und zum Sonnengott gebetet hatte, sie in Gnaden aufzunehmen, wußte Kassandra in aller Klarheit, weshalb sie in Apollons Tempel gekommen war. Sie warf einen letzten Blick auf Penthesileas Leiche, die schmählich
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