Die Feuer von Troia
Beispiel.
Penthesilea ging sofort zu der Frau hinüber, die den Spieß drehte. Kassandra sah mit Entsetzen, daß man ihr beide Fußgelenke durchstochen, einen Strick durch die Löcher gezogen und beide Füße zusammengebunden hatte. So gefesselt, konnte die Frau keine großen Schritte machen. Die Amazonenkönigin blickte nicht unfreundlich auf sie hinunter und fragte: »Bist du die Gefangene?«
»Das bin ich. Sie haben mich im letzten Sommer aus dem Haus meines Vaters geraubt.«
»Möchtest du zurück?«
»Als er mir die Beine durchstochen hat, schwor er, mich immer zu lieben und immer für mich zu sorgen. Will er mich jetzt verstoßen? Wird mein Vater mich zurückhaben wollen? Ich bin verkrüppelt, und in meinem Leib wächst das Kind eines Kentauren.«
»Er sagt, daß du hier nicht glücklich bist. Wenn du mit uns kommen möchtest, kannst du in unserem Dorf sein, bis das Kind geboren ist«, erklärte Penthesilea. »Dann kannst du in das Haus deines Vaters zurückkehren oder gehen, wohin du willst.«
Die Frau verzog kläglich das Gesicht und weinte. »In diesem Zustand?« fragte sie und deutete auf die verstümmelten Fußgelenke. Penthesilea drehte sich nach dem Führer der Kentauren um und sagte: »Unverletzt hätte ich sie ohne weiteres genommen. Aber in diesem Zustand können wir sie nicht in das Dorf ihres Vaters bringen. Reichte es deinem jungen Mann nicht, sie zu rauben und ihr die Jungfräulichkeit zu nehmen?«
Der Kentaur breitete die Arme in einer hilflosen Geste aus. »Er hat geschworen, sie auf immer und ewig zu wollen, sie zu behalten und für sie zu sorgen. Er fürchtete aber, es könne ihr gelingen, ihm zu entfliehen.«
»Nach all den vielen Jahren solltest du wissen, wie lange diese Art Liebe dauert«, schimpfte die Amazonenkönigin. »Sie überdauert selten die Entjungferung. Eine ewige Liebe hält manchmal ein halbes Jahr vor, aber sie überlebt niemals eine Schwangerschaft. Was können wir also mit ihr anfangen? Du weißt so gut wie ich, man kann sie in diesem Zustand nicht ihrem Vater zurückgeben. Diesmal hast du dich in eine Lage gebracht, aus der wir dich nicht befreien können.«
»Im Augenblick würde mein Mann dafür bezahlen, daß er sie los wird«, sagte der Kentaur.
»Das muß er. Also, was gibt er dafür, sie loszuwerden?«
»Eine gute, trächtige Stute als Entschädigung für ihren Vater oder als Mitgift, wenn sie heiraten will.«
»Vielleicht gelingt es uns damit, sie unterzubringen, wenn sie wieder laufen kann«, sagte Penthesilea. »Aber ich kann dir versprechen, es ist das letzte Mal, daß wir dir aus solchen Schwierigkeiten mit Frauen heraushelfen. Halte deine Männer von den Dörfern fern, damit wir nicht alle in schlechten Ruf geraten. Und ich hoffe, es ist eine gute Stute, sonst lohnt sich die ganze Mühe nicht.« Penthesilea schnupperte anerkennend in die Luft. »Es wäre ein Jammer, wenn das Fleisch verbrennt oder zu lange brät, während ich dich ausschimpfe. Essen wir etwas davon.«
Einer der Kentauren schnitt mit einem großen Messer das Fleisch und die knusprige Haut in Stücke. Die Frauen setzten sich zum Essen ins Gras. Das Fleisch wurde verteilt, sie tranken Wein aus Lederschläuchen, und hinterher gab es Honigwaben. Kassandra aß gierig; das Reiten hatte sie ermüdet, sie freute sich über die Ruhepause am Lagerfeuer und trank auch durstig den Wein. Nach einiger Zeit wurde sie ganz benommen; sie legte sich auf den Rücken und schloß schläfrig die Augen. Zu Hause durfte sie nur mit viel Wasser verdünnten Wein trinken, und ihr wurde leicht übel. Trotzdem kam es ihr vor, als hätte es ihr im Palast nie so gut geschmeckt wie hier im Freien.
Ein junger Mann - er war neben dem Kentaurenführer geritten - kam zu Kassandra, um ihren Becher zu füllen. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nichts mehr. Danke.«
»Der Gott des Weines wird dir zürnen, wenn du seine Gaben verschmähst«, sagte der Junge. »Trink, Augenstern.«
So hatte der Vater sie in seinen seltenen liebevollen Augenblicken genannt. Kassandra trank noch ein paar Schlucke. Aber dann schüttelte sie den Kopf: »Ich bin schon so benommen, daß ich mich nicht mehr auf dem Pferd halten kann.«
»Dann ruh dich aus«, sagte der Junge, schlang die Arme um sie und zog sie an seine Schulter.
Penthesilea ließ sie nicht aus den Augen und sagte scharf: »Laß sie in Ruhe. Sie ist nicht dir bestimmt. Sie ist die Tochter des Priamos und eine Prinzessin von Troia.«
Der Kentaurenführer lachte und sagte:
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