Die Feuer von Troia
Götter haben euch zu uns geschickt. Wir haben euch genommen, und ich glaube, wir haben getan, was richtig ist.«
Penthesilea schnitt ihm achselzuckend die Kehle durch. Die anderen Männer schrien, sie seien bereit zu schwören, und Penthesilea bedeutete den Frauen, sie loszulassen. Einer nach dem anderen kniete nieder und leistete den Schwur.
»Aber ich traue ihrem Eid nicht«, sagte Penthesilea, »wenn sie unsere Waffen nicht mehr sehen.« Sie gab Anweisung, daß die Habe des Stammes zusammengetragen und die Pferde gesattelt wurden, damit sie im Morgengrauen aufbrechen konnten.
Nach der schlaflosen Nacht brannten Kassandra die Augen, und ihr Kopf schmerzte. Sie glaubte immer noch, die groben Hände des Mannes auf sich zu spüren. Als sie sich bewegen wollte, konnte sie es nicht; ihr Körper war starr und gelähmt. Sie hörte, wie jemand ihren Namen rief, aber es klang sehr fern.
Penthesilea trat zu ihr, und die Berührung ihrer Hand brachte Kassandra wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Kannst du reiten?« fragte Penthesilea.
Kassandra nickte stumm und zog sich mühsam in den Sattel. Elaria kam an ihre Seite geritten und umarmte sie. »Du warst tapfer. Du hast einen Mann getötet. Jetzt bist du eine Kriegerin und kannst für uns kämpfen. Du bist kein Kind mehr.«
Penthesilea gab das Zeichen zum Aufbruch. Kassandra trieb zitternd ihre Stute an und zog sich die Decke um die Schultern.
Oh , dachte sie, sie riecht nach Tod.
Beim Reiten traf der kalte Regen ihre Gesichter, und Kassandra beneidete die Frauen, die in zugedeckten Tontöpfen Glut trugen. Sie zogen nach Osten, immer weiter nach Osten. Der Wind pfiff, und es wurde kälter und kälter. Nach langer Zeit wurde der Himmel blaßgrau, aber der Tag brach immer noch nicht an. Um sich herum hörte Kassandra die verdrießlichen Frauen, und auch sie litt unter Hunger und Kälte.
Endlich ließ Penthesilea anhalten, und die Frauen schlugen zum ersten Mal wieder die Zelte auf. Kassandra klammerte sich an ihr Pferd; sie brauchte die Wärme des Tieres. Die beißende Kälte schien jeden Muskel, jeden Knochen ihres Körpers durchdrungen zu haben. Es dauerte nicht lange, bis die Feuer in der Mitte des Lagers brannten, und sie hockte sich wie alle anderen dicht an die wärmenden Flammen.
Penthesilea wies auf das Land, durch das sie geritten waren, und die Frauen sahen staunend grüne Felder mit halbreifem Getreide. Kassandra traute ihren Augen kaum: Getreide in dieser Jahreszeit? »Es ist Wintergetreide«, erklärte Penthesilea. »Die Menschen hier säen das Getreide, ehe der erste Schnee fällt, und es liegt den Winter über in der Erde unter dein Schnee. Es reift vor der Gerstenernte. In diesem kalten Klima gibt es zwei Getreidesorten, und ich suche Roggen.«
Die Amazonenkönigin winkte ihre Nichte zu sich.
»In welchem Land sind wir, Tante?« fragte Kassandra.
»Es ist das Land der Thraker«, erwiderte Penthesilea, »und im Norden liegt die alte Stadt Kolchis.«
Kassandra erinnerte sich an eine der Geschichten ihrer Mutter. »Hat Jason dort mit Hilfe der Zauberin Medea das goldene Vlies gefunden?«
»Richtig. Aber heutzutage gibt es dort wenig Gold, wenn auch viele Zauberkünste.«
»Leben Menschen hier in dieser Gegend?« fragte Kassandra. Es erschien ihr unmöglich, daß jemand freiwillig in dieser Einsamkeit leben sollte.
»Gerste und Roggen säen sich nicht selbst auf Feldern aus«, erinnerte sie Penthesilea. »Wo Getreide wächst, gibt es auch Menschen. Männer oder Frauen, die es säen. Hier gibt es Menschen und auch - Pferde. « Sie deutete in die Ferne.
Am Horizont entdeckte Kassandra kaum sichtbare kleine Punkte, die sich bewegten und nicht viel größer als Schafe zu sein schienen. Aber an der Art, wie sie sich bewegten, erkannte sie, daß es Pferde sein mußten. Sie kamen näher, und Kassandra sah, daß sie sich deutlich von den Pferden unterschieden, die sie und die anderen Amazonen ritten: es waren kleine fahle Tiere mit schweren Leibern und dichtem zottigem Fell, das beinahe wie Pelz wirkte.
»Die wilden Pferde des Nordens. Sie sind nie geritten oder gezähmt worden«, erklärte Penthesilea. »Kein Gott hat gewollt, daß sie Männern oder Frauen dienen. Wenn sie einem Gott oder einer Göttin gehören, sind sie Eigentum der Jägerin Artemis. «
Wie von einem Geist gelenkt, machte die ganze Herde plötzlich kehrt und stob davon. Die Leitstute blieb mit hoch erhobenem Kopf stehen und starrte mit geblähten Nüstern und glänzenden Augen zu
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