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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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näherte sich dem Tempel des Sonnengottes. Ein Sommerblitz zog ihren Blick nach oben zu dem schimmernden Tempel der Pallas Athene, und plötzlich überfielen sie Zweifel. Sie war zur Priesterin der Göttin gemacht, in die Unterwelt geschickt worden, um sie zu suchen, und die Göttin hatte sie angenommen. Hatte nicht die Erdmutter sie seit frühester Kindheit gerufen und durch die Stimme der Weissagungen zu ihr gesprochen? Wurde sie der göttlichen Mutter, der Jungfrau und Beschützerin der Jungfrauen untreu und ließ Sie zugunsten des schönen Sonnengottes im Stich?
    Panische Angst erfaßte Kassandra. Sie glaubte, sich wieder übergeben zu müssen. Sie schluckte krampfhaft. Ihr Körper war von einer Frucht erfüllt, die sie beinahe schmeckte. Sie hörte schwere Schritte, die sie verfolgten, und plötzlich wurde der Himmel über ihr dunkel. Sie hatte nur einen Gedanken, als die dunkle Flut über ihr zusammenschlug:  Ich muß den Tempel der Jungfrau erreichen. Nur dort bin ich sicher … Kein Mann wird wagen, Hand an die zu legen, die sie beschützt…
    Kassandra blinzelte ungläubig. Es gab keine Gefahr, keine Flammen, keine Verfolger. Der Hafen glänzte leer und blau. Auf der Straße befanden sich nur ein paar Frauen, die beobachteten, wie sie ruhig auf das große Tor des Tempels zu schritt.
    Läßt der Gott den Wahnsinn über mich kommen?  Sie blieb stehen, um Luft zu holen.
    Ein plötzlicher Windstoß schien sie wie eine riesige Hand über die Schwelle in den Tempel zu schieben. Kassandra strich geistesabwesend die Haare zurück und blickte sich um. Sie war beinahe enttäuscht, daß niemand aufmerksam zu werden schien.
    Was habe ich erwartet? Habe ich geglaubt, daß der Gott persönlich kommen und mich begrüßen würde?
    Eine alte Frau im Gewand einer einfachen Priesterin - eine weiße Tunika und ein mit Safran sonnengold gefärbter Schleier - hob den Kopf und sah Kassandra an. Dann stand sie auf und kam näher. 
    »Willkommen, Tochter des Priamos«, sagte sie, »bist du gekommen, weil du einen Orakelspruch oder ein Zeichen suchst? Oder willst du etwas opfern?«
    »Nichts von all dem«, erwiderte Kassandra befangen. Sie wußte nicht, wie sie ausdrücken sollte, was sie sagen wollte. »Ich bin gekommen -, weil der Gott mir befohlen hat zu kommen. Ich soll SEINE Priesterin werden …« Sie brach ab und kam sich albern vor. 

    Aber die alte Frau lächelte freundlich und sagte: »Ja natürlich, ich erinnere mich, daß du als kleines Mädchen zu uns gekommen bist und dich hier zu Hause zu fühlen schienst. Ich dachte mir, daß der Sonnengott dich vielleicht eines Tages rufen würde. Komm herein und erzähle mir alles. Als erstes, sag mir, wie alt du bist. Du scheinst schon seit geraumer Zeit eine Frau zu sein.«
    »Meine Mutter sagt, daß ich bald nach der Sommersonnenwende sechzehn werde«, erwiderte Kassandra beim Hineingehen. Sie erkannte den Vorraum wieder, wo sie vor vielen Jahren eine süße Melonenscheibe gegessen hatte, während ihre Mutter auf den Orakelspruch wartete. Sie konnte kaum glauben, daß er sich in den vielen Jahren so wenig verändert hatte. Sie dachte an die Schlangen, die sie damals gesehen und gestreichelt hatte. Sie gehörten einer kurzlebigen Art an und waren vermutlich schon lange tot. Der Gedanke machte sie traurig.
    Die Priesterin forderte sie mit einer Geste auf, sich zu setzen. »Erzähle mir von dir«, sagte sie, »erzähle mir alles, was dich glauben läßt, daß du in unseren Tempel gerufen worden bist. «
    Als Kassandra zu Ende gesprochen hatte, sagte die Priesterin: »Nun, Kassandra, wenn du eine von uns sein möchtest, mußt du ein Jahr lang hier im Tempel leben und lernen, die Orakel und Zeichen zu deuten, um für den Gott zu sprechen.«
    Ein Glücksgefühl stieg wie eine Woge in ihr auf, und sie sagte: »Ich werde glücklich sein, im Haus des Gottes zu leben. «
    »Dann mußt du eine der Tempeldienerinnen schicken, um deine Habe zu bringen. Du brauchst nur ein paar wenige Gewänder und einen warmen Mantel, denn du mußt die übliche Kleidung der Priesterinnen tragen. Wir sind hier alle Schwestern, und solange du im Heiligtum lebst, darfst du keine Edelsteine und keinen Schmuck tragen. «
    »An Edelsteinen liegt mir nichts«, sagte Kassandra, »und ich habe nur ein paar. Aber weshalb ist es nicht erlaubt?«
    Die alte Frau lächelte. »Es gehört zu den Regeln des Tempels, und ich weiß nicht, weshalb es so ist. Vielleicht deshalb, weil viele, die hierherkommen, um unseren Rat

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