Die Feuerbraut
Tand, der einer jungen Frau wie ihr gefallenkonnte, darunter ein kleiner Silberspiegel, den sie bis jetzt noch nicht zu benutzen gewagt hatte.
Mit einem tiefen Seufzer tastete sie mit der Hand über die Innenseite des Truhendeckels, der ein Geheimfach enthielt. Dessen Verriegelung ließ sich von innen mit einem leichten Fingerdruck lösen. Als sie es öffnete, konnte sie es aufklappen und ein Büchlein herausnehmen. Die Seiten waren unbedruckt und dafür bestimmt, von ihr beschrieben zu werden. Ihr Onkel hatte sie aufgefordert, alles zu notieren, was ihr in diesem Haushalt verdächtig erschien, und vor allem Irmela im Auge zu behalten. Da diese ihre Reise nach Böhmen zu diesem Zeitpunkt bereits angetreten hatte und bisher noch nicht zurückgekehrt war, hatte Ehrentraud noch nichts aufgeschrieben. An diesem Tag wünschte sie sich jedoch nichts mehr, als ihre Gedanken dem weißen Papier anzuvertrauen, um mit sich ins Reine zu kommen.
In einem der anderen Fächer befand sich ein Kistchen mit einem kleinen, silbernen Tintenfass und einer Schreibfeder, deren Spitze ebenfalls aus Silber gefertigt war. Ehrentraud legte das Buch mit der aufgeschlagenen ersten Seite auf ihren Schoß, tauchte die Spitze der Feder in die Tinte und begann mit kleiner, gestochen scharfer Schrift zu schreiben. Zunächst notierte sie nur das Datum des Tages mit den Heiligen, denen er gewidmet war, und setzte etwas verschnörkelter ihren eigenen Namenszug hinzu. Dann überlegte sie, wie sie beginnen sollte.
Immer wieder zuckte sie vor dem ersten Buchstaben zurück. Es erschien ihr nicht richtig, mitten im Geschehen anzufangen, und so wanderten ihre Gedanken zu jenen Tagen, in denen sie als Gast im Haus der Haßlochs, einer Nachbarfamilie der Hochbergs und der Birkenfels, geweilt hatte. Die Gerüchte von dem kraftvollen Vorstoß der Schweden hatten ebenso die Runde gemacht wie die Nachricht von der Niederlage des Feldherrn Tilly bei Breitenfeld, und die Gutsherren waren zunächst kopflos herumgelaufen.Man hatte den Gedanken an Flucht erwogen, wieder verworfen und erneut ins Auge gefasst. Ottheinrich von Hochberg und Siegbert von Czontass hatten die anderen gedrängt, die ungeschützten Landsitze zu verlassen und die Frauen und Kinder nach Ingolstadt oder Neuburg in Sicherheit zu bringen, doch die Familie, bei der sie gewohnt hatte, war ebenso dagegen gewesen wie Steglinger und hatte sich erst beim Erhalt der Nachricht, die Vorhut der Schweden hielte bereits auf die Donau zu, dem Flüchtlingszug angeschlossen.
Ehrentraud erinnerte sich an das Chaos, das beim Aufbruch geherrscht hatte und gegen das sich weder Hochberg trotz seines hohen Ranges noch Birkenfels mit seiner Erfahrung als Offizier unter Tilly hatten durchsetzen können. Jeder der Gutsherren hatte so viel von seinem Besitz retten wollen, wie es nur ging, und dadurch war wertvolle Zeit vergeudet worden, was am Ende zum Untergang der Flüchtlinge geführt hatte. Die Familien Hochberg, Birkenfels und Czontass hatten ihre Wagen bereits bei den ersten schlechten Nachrichten bereitstellen lassen und hätten früher als die anderen fliehen können. Aber sie waren geblieben, weil sie ihre Nachbarn und Freunde nicht im Stich hatten lassen wollen.
Als Ehrentraud sich an jenen Tag erinnerte, rannen Tränen über ihre Wangen. So viele hatten sterben müssen, nur weil ein paar Leute unbedingt noch diesen Stuhl oder jenen Kasten hatten mitnehmen müssen. Sie schrieb auf, an was sie sich erinnerte, und klagte einige der Toten und auch ein paar Überlebende der Habsucht an. Dann berichtete sie von dem Überfall, der so schrecklich geendet hatte, und von der anschließenden Flucht, die sie die Donau abwärts bis nach Passau geführt und die erst hier in der Abgeschiedenheit der Waldberge geendet hatte.
Als sie das Geschriebene durchlas, merkte sie, dass sie Irmela nur ein Mal erwähnt hatte. Dort stand in ihrer eigenen Schrift, dassdas Mädchen den Flüchtlingszug vor den Schweden gewarnt hatte, aber bei den meisten auf Unglauben gestoßen war. Schon wollte sie zwischen den Zeilen hinzusetzen, dass dabei Hexerei mit im Spiel gewesen sein musste, doch zum einen wollte sie das klare Bild ihrer Schrift nicht durch Einfügungen zerstören, und zum anderen fragte sie sich nun, ob sie tatsächlich so stark von Irmelas Schuld überzeugt war, wie Johanna es sie glauben gemacht hatte, und horchte in sich hinein.
»Wäre ich Irmela gefolgt wie Meinarda und einige andere, hätten die schwedischen Ungeheuer mich
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