Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
die
Welt war, und sie kam sich klein und verloren in dieser Weite vor. Woher stammte sie? Welcher Leib hatte sie geboren, dort irgendwo zwischen den Wäldern und Wiesen? War sie überhaupt von dieser Welt?
»Nach Laodamea!«, rief Amhal und riss sie aus ihren Gedanken.
Jamila flog noch einen weiten Bogen, und die Reise begann.
Einen ganzen Tag lang sausten sie, ohne hinunterzugehen, durch die Luft. Grün und endlos zog die Steppe unter den Drachenschwingen entlang. Die Sonne brannte so stark, dass sich Adhara mit Amhals Kapuze ein wenig zu schützen versuchte.
»In Laodamea sollten wir für dich auch einen Umhang kaufen«, meinte er.
Die ganze Zeit über konnte sich Adhara nicht von dem Anblick der Landschaft unter ihr lösen. Es war überwältigend. Sie beobachtete, wie sich das Gras im Wind wiegte, und nahm jede noch so winzige Veränderung des Panoramas in sich auf, versuchte, sich alles einzuprägen und zu eigen zu machen, um dann in ihrem Inneren, ihrem Gedächtnis, nach Spuren davon zu suchen.
Hin und wieder erklärte ihr Amhal etwas zu dem, was sie unter sich sahen. Er erzählte ihr vom Saar, jenem mächtigen Strom, der links von ihnen lag – zu weit entfernt, als dass sie ihn hätten ausmachen können – und der die Flüsse speiste, die sie immer wieder überflogen, sprach von den Turmstädten im Land des Windes, jenem Reich, dessen Hauptstadt Salazar war, von der endlos weiten, von Feldern und Dörfern getüpfelten Ebene. Namen über Namen, fantastische Bilder, aber nichts, was ihr vertraut vorgekommen wäre.
Die erste Nacht verbrachten sie im Freien, und alles in allem war es ein angenehmer Aufenthalt. Ein sanfter Sommerwind, frisch und feucht duftend, strich über die Ebene.
Für die zweite Übernachtung beschloss Amhal, in einem kleinen Ort haltzumachen. »Wir haben gerade die Grenze zum Land des Wassers überquert«, erklärte er, während sie, die Sonne als roten Feuerball zu ihrer Linken, pfeilgeschwind dahinschossen.
Adhara sah wieder hinunter, und ihr Blick verfing sich in einem dichten Geflecht ineinander verschlungener Bäume, das zwischen einem Netz aus sich windenden Wasserläufen gewebt war.
»Kommt das von den Flüssen?«, fragte sie.
Amhal verstand sofort, was sie meinte. »Ja, das ist wie ein Dschungel. Ein Stück weiter noch liegt ein Menschendorf. Dort werden wir rasten.«
Auf einer kleinen Lichtung gingen sie hinunter. Jamila musste bei der Landung höllisch aufpassen, weil ihre ausgebreiteten Schwingen dort nur mit knapper Not Platz fanden.
»Du wirst hier warten müssen«, erklärte Amhal an Jamila gewandt, während er ihr das Zaumzeug abnahm. Dann drehte er sich zu Adhara um: »Im Land des Wassers gibt es keine Drachen, deshalb sind sie hier auf eine Unterbringung nicht eingerichtet. Aber in der Hauptstadt Laodamea sieht das anders aus.«
So marschierten sie los, während das Blau des Himmels langsam in ein Violett überging, das alles einnahm. Eigenartigerweise fühlte sich Adhara so ruhig und sicher, als sei sie hier zu Hause. Sie machte Amhal darauf aufmerksam.
»Gedulde dich noch bis Laodamea«, erwiderte er, »dort kannst du alle Nachforschungen anstellen, die dir nötig erscheinen.«
Sie wanderten ein Stück durch den Wald, während sich das violette Licht um sie herum mehr und mehr verdüsterte und zwischen den Bäumen immer neue winzige Lichter erglommen. Adhara beobachtete es fasziniert.
»Glühwürmchen«, erklärte ihr Amhal, »kleine Insekten,
die Licht abgeben. Vor einigen Jahrzehnten hätte es sich auch, wenn man im Wald Lichter sah, um Kobolde handeln können.«
Adhara blickte ihn fragend an.
»Das waren winzige Geschöpfe, nicht größer als meine Hand, mit auffallend großen Augen, kunterbunten Haaren und durchscheinend wirkenden Flügelchen. In der Dunkelheit gaben sie ein zartes Licht ab.«
»Das war sicher wunderschön …«
»O ja. Manche Leute glauben, nicht alle Kobolde seien ausgestorben. Einen einzigen gebe es noch, und der streife als einziger Überlebender seines ganzen Volkes allein durch den großen Bannwald im Land des Windes, dazu verdammt, niemals sterben zu können. Nachts künde ein einziges trauriges Licht von seinem müden Umherflattern zwischen den Bäumen.«
Adhara stellte sich die Einsamkeit dieses letzten Kobolds vor und dass sich Wanderer, die sich verirrt hatten, von seinem Licht leiten ließen. Sie selbst war wie solch ein Verirrter, und Amhal war wie dieser Kobold: ihr Licht in einer Welt der Finsternis.
Amhal
Weitere Kostenlose Bücher