Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
jedes
Jahr hatte an ihrem Körper Spuren hinterlassen. Zwar glänzte ihr Haar immer noch und wellte sich in duftenden Locken, doch blond war es nicht mehr, sondern weiß. Und ihr Jungmädchengesicht hatte dem strengen, eingefallenen und von Falten durchzogenen Antlitz einer alten Frau Platz gemacht. Ihr Körper war füllig geworden, und die Formen, die unter den Falten ihres schwarzen Gewandes hervortraten, waren nicht mehr graziös, sondern plump: die Hüften zu breit, die Schultern knöchern, die Brüste hingen.
Was macht das schon, da nun niemand mehr diesen Körper begehrt?
Mit der Hand strich sie über den dunklen Stoff. Seit fünfzehn Jahren, seit ihr Mann gestorben war, trug sie nun schon Trauer. Eine unheilbare, langsam zum Tod führende Krankheit hatte ihm zunächst den Gebrauch der Gliedmaßen versagt und dann auch den Atem genommen. Jede einzelne Station dieses Leidenswegs war sie mitgegangen, war bei ihm gewesen bis zuletzt, bis es zu Ende war. Und dann das Nichts. Theana, die Frau, war mit ihm gestorben, und zurückgeblieben war nur die Hohepriesterin mit dem Glauben als einzigem Halt und der Ordensgemeinschaft als einziger Zuflucht.
Sie stützte die Ellbogen auf der Tischplatte auf und mach – te sich daran, einige Papiere durchzusehen. Depeschen, Schenkungsurkunden und verwickelte Verwaltungsvorgänge prägten nun das Leben hier im Tempel. Einen Augenblick lang dachte sie zurück an die ursprüngliche Nüchternheit des Kultes, seine Reinheit, als nur sie allein für ihn stand und die Ordensgemeinschaft des Blitzes noch nicht gegründet war. Damals war der Name Thenaars noch verhasst, doch der Glaube an ihn war aufrichtiger, vielleicht auch authentischer. Bestand nicht die Gefahr, dass die mächtige Institution, zu der sich der Orden zwangsläufig entwickelt hatte, den unverfälschten Zugang zum Glauben behinderte?
Müßige Gedanken, denen sie sich manchmal hingab. Vielleicht lag es am Alter.
Wieder wandte sie sich den Dokumenten zu, arbeitete sie
durch, unterzeichnete einige, zündete die Kerze an, als das Tageslicht draußen erlosch. Irgendwann schlossen sich ihre Finger auch um ein Stück Pergament, nicht viel größer als ein Zettel mit ausgefransten Rändern. Sie wusste, um was es sich handelte. Es war eine jener Botschaften, die ihnen tagtäglich von Brüdern der weiter entfernt gelegenen Tempel auf magischem Weg zugesandt wurden. Allerdings gerieten nur wenige davon in ihre Hände. Die meisten wurden von Brüdern in ihrem Haus gelesen, die für Fragen des Kultes in den verschiedenen Ländern zuständig waren, und landeten dann bei den Akten, in vergessenen Ordnern auf verstaubten Regalen. Doch diese Notiz hier war bis zu ihr vorgedrungen.
»An die Hohepriesterin«, stand darauf.
Theana drehte den Zettel zwischen den Fingern hin und her. Die Nachricht war kurz. Wieso war sie an sie gerichtet?
Sie las sie durch. Eilig hingeworfene Zeilen, mit kindlicher, zitternder Hand. Zweimal musste sie die Nachricht lesen, um sie zu begreifen.
Da öffnete sich die Tür, und das Mädchen betrat wieder den Raum. Theana fuhr hoch.
»Verzeiht, Herrin, ich wollte nicht stören«, sagte die Schwester, wobei sie den Kopf neigte.
»Schon gut, Dalia, ich war nur in Gedanken. Was gibt es denn?«
»Jemand möchte Euch sprechen, Herrin …«
»Das passt jetzt gar nicht«, stöhnte Theana und massierte sich mit dem Zeigefinger die Nasenwurzel, »ich bin erschöpft, und außerdem …«
»Aber es ist die Königin, Herrin«, erklärte das Mädchen, während es sich noch einmal verneigte.
Theana war überrascht. Es war nicht Dubhes Art, sie im Tempel aufzusuchen. Vielleicht hielt sie immer noch die Erinnerung an jene Zeiten davon ab, als sich die Gilde des Thenaar-Kultes bemächtigt hatte und der Gott als ein Ungeheuer erschien, das sich von Menschenblut nährte. Vielleicht
war der Grund aber auch ihr grundsätzliches Misstrauen gegenüber jedem Gottesglauben. Jedenfalls hatten sie beide sich immer nur außerhalb des Tempels getroffen, zum Beispiel bei großen Festakten, die Verbindung jedoch immer gehalten eingedenk ihres freundschaftlichen Verhältnisses, das während des gemeinsamen Kampfes gegen Dohor entstanden war. Tatsache war aber auch, dass ihre Begegnungen in den vergangenen Jahren immer spärlicher geworden waren, nicht zuletzt, weil Theana den Tempelbereich nur noch selten verließ. Dennoch waren die Wertschätzung, die Freundschaft und Zuneigung, die sie füreinander empfanden, in all den Jahren
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