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Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter

Titel: Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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stand, und kniete nieder. Sie schloss die Augen und wiederholte im Geist die Worte, die seit vielen Jahren, immer wenn sich der Tempel füllte, aus ihrem Mund erklangen. Doch obwohl sie das Gebet schon so lange kannte, hatte es noch nichts Schematisches für sie bekommen. Ihr Glaube war noch völlig unbeschädigt, war noch so lebendig wie am ersten Tag, wenn nicht sogar noch inniger. Denn leidvolle Prüfungen hatte sie bestanden, war gestählt worden durch die Jahre der Abgeschiedenheit und geschmiedet durch die Mühen, die es sie gekostet hatte, den Kult noch einmal neu zu verbreiten.
    Sie betete zu ihrem Gott um Kraft und Geduld, betete darum,
ihm als Werkzeug – und nicht mehr als das – dienen zu dürfen, und wie immer galt der letzte Gedanke ihrem Vater.
    Wo auch immer du sein magst, wache über mich!
    Mühsam erhob sich die Hohepriesterin. Ihre Beine waren nicht mehr so stark wie früher einmal, und jeden Tag fiel ihr das Aufstehen schwerer. Die Schwester lehnte sich zu ihr vor, doch mit einer entschiedenen Geste wies sie deren Hilfe zurück. Als sie sich einigermaßen sicher auf den Beinen fühlte, drehte sie sich um und breitete die Arme zu der dicht gedrängten Menge der Gläubigen aus.
    »Tretet nur näher, einer nach dem anderen, so wie ihr es gewohnt seid. Ihr sollt alle geheilt werden.«
    Eine Bewegung wie eine Welle in stürmischer See durchlief den Saal. Die Hohepriesterin stieg vom Altar hinunter und ließ sich aufnehmen von der Menge ihrer Getreuen.
     
    »Das war heute wieder ein guter Tag«, bemerkte die Schwester, während sie der Hohepriesterin beim Ablegen ihrer Festgewänder behilflich war. »Ich fühlte den Glauben der Leute, ihre Andacht … Euch dienen zu dürfen, ist eine außerordentliche Ehre für mich.«
    Die Hohepriesterin lächelte ein wenig bitter. »Manchmal befürchte ich, dass die Leute nur wegen meiner Heilkräfte zu mir kommen. Genauer betrachtet, ist es wie eine Art Handel: Glaubt, und ich heile euch.«
    »Aber, Exzellenz …«, rief die Schwester entrüstet.
    Die Hohepriesterin machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Nehmt meine Worte nicht so ernst. In jüngster Zeit fühle ich mich häufig alt und müde. Die Last von dem, was ich in meinem Leben gesehen und erlebt habe, hat mich zu vieler Illusionen beraubt.«
    Die Schwester stellte sich vor sie. Sie war jung, fast zu jung für ihre Aufgabe, hatte die Haare züchtig hochgesteckt und das pausbäckige Gesicht eines noch nicht voll erblühten Mädchens. Ihr ernster Blick bildete einen seltsamen Gegensatz
zu den kindlichen Zügen. »Bevor Ihr kamt, lag unser Kult danieder, war der Name unseres Gottes Thenaar von einer blutrünstigen Sekte besudelt und für abartige Ziele missbraucht worden. Wie anders heute: Hunderte von Tempeln in der ganzen Aufgetauchten Welt, Tausende von Gläubigen, erfasst vom Feuer eines neuen Glaubens, der verschiedenste Völker und Rassen vereint. Und das ist allein Euer Verdienst.«
    Die Hohepriesterin lächelte. Es war schön, zu wissen, dass dieses Feuer, das auch das Mädchen dort ergriffen hatte, nicht zuletzt durch ihre eigene unermüdliche Arbeit entfacht worden war, ihre religiöse Unterweisung und – warum nicht? – ihre Kenntnisse in der Heilkunst, die sie im Übrigen nicht als ihr alleiniges Vorrecht ansah. Alle Brüder und Schwestern ihrer Ordensgemeinschaft lernten diese Kunst, wobei allerdings bisher noch niemand wie sie selbst darin glänzte. Doch darauf kam es nicht an.
    Als sie sich fertig umgezogen hatte, ließ sie sich schwer auf einen Sessel fallen. »Danke, du kannst gehen«, sagte sie mit einem müden Lächeln. Sie brauchte das jetzt, allein zu sein nach dem Ansturm der Menge dort drüben im Tempel.
    Das Mädchen beugte das Knie. »Stets zu Euren Diensten«, murmelte sie, bevor sie ging.
    Die Hohepriesterin blieb allein zurück. Es war ihr nicht oft vergönnt, hier im Tempelbereich ein wenig Ruhe zu genießen: Stets waren Gläubige zu behandeln, Riten zu zelebrieren, Brüder und Schwestern zu unterweisen, und dann auch noch die Organisation und Leitung ihrer Ordensgemeinschaft. So blieb ihr wirklich nur sehr wenig Zeit für sich selbst, um die eigenen Gedanken zu sammeln und zu ordnen.
    Sie blickte auf ihr Bild in dem großen Spiegel an einer Wand. Ohne die Zeremoniengewänder hatte sie immer noch etwas vor der jungen Frau, die sie einmal war: Theana, die unerschütterlich an einen von allen missachteten Gott glaub – te. Viel Zeit war seither vergangen, zu viel Zeit, und

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