Die Feuerkämpferin 02 - Tochter des Blutes
etwas?«
Adrass Stimme schien aus einer anderen Sphäre zu ihr zu dringen. Sie schüttelte den Kopf.
Er begann, und halb erleichtert, halb entsetzt wurde Adhara gewahr, dass sie in der linken Hand wirklich jegliches Gefühl verloren hatte. Sie hörte, wie das Sägeblatt durch das tote Fleisch schabte und dann den Knochen zerteilte. Aber sie spürte nichts, nicht den Hauch eines Schmerzes, so als sei diese Hand bereits kein Teil ihres Körpers mehr.
Dennoch begann sie zu weinen, und langsam, aber unaufhaltsam liefen ihr die Tränen über die Wangen. Da spürte sie, wie seine warme Hand sie sanft wegwischte, und einen Moment lang gab sie sich dieser Berührung hin. Auf einmal sah sie nicht mehr nur den Peiniger in ihm, sondern auch ihren Schöpfer, der sie aus dem Grab befreit und ihr ein neues Leben geschenkt hatte. Weniger als das Sakrileg eines Wahnsinnigen kam ihr diese Tat nun wie der Liebesbeweis eines Vaters vor. Denn in einem eigenartigen, verqueren Sinn wurde Adrass immer mehr eben das für sie. Ein Vater.
Sie löste sich von ihm, kniff die Augen zusammen und wartete, dass es vorübergehen möge. Endlich hörte sie, wie er die Instrumente zur Seite legte.
»Das war der leichtere Teil«, sagte er jedoch mit zitternder Stimme. »Jetzt musst du stark sein. Beiß fest die Zähne zusammen!«
»Was hast du vor?«
»Bis jetzt habe ich nur den abgestorbenen Teil weggeschnitten,
nun muss ich die Wunde noch ausbrennen, auch das von der Infektion nur angegriffene Gewebe. Aber dort fühlst du noch etwas. Ich werde mich eines Zaubers bedienen und kann dir auch etwas geben, das die Schmerzen lindert. Aber ich will dich nicht belügen: Es wird sehr wehtun.«
Adhara nahm all ihren Mut zusammen und nickte Adrass zu.
Der führte ihr ein Fläschchen an die Lippen, dessen bitteren Inhalt sie in einem Zug austrank. Schon fühlte sie, wie ihr die Sinne schwanden. Gestützt von Adrass’ Arm in ihrem Nacken, glitt sie sanft zu Boden, die Finsternis um sie herum wurde undurchdringlich, und tiefe Bewusstlosigkeit überkam sie.
Es war der Schmerz, der sie wieder zu sich brachte. Sie spürte, wie etwas ihr Fleisch verzehrte, und sie schrie laut auf. Ihre Beine zappelten, ohne dass sie es verhindern konnte, während Adrass ihren linken Arm fest. hielt. Sie hörte sich schreien, als wäre es nicht sie selbst, und dann einen Singsang, wie aus der Ferne, doch deutlich vernehmbar, eine Melodie, an die sie sich mit aller Kraft klammerte.
»Es ist gleich vorbei, es ist gleich vorbei, es ist gleich vorbei…«
Dann spürte sie, wie sich der Griff seiner Hand lockerte, während der Schmerz ein klein wenig nachließ und jetzt dumpf pochte. Sie öffnete die Augen.
Völlig entkräftet lag sie ausgestreckt am Boden, während Adrass, über sie gebeugt, nicht weniger mitgenommen aussah. »Du hast es geschafft«, murmelte er.
Adhara schloss wieder die Augen. Abgesehen von diesem
Schmerz fühlte sie sich nicht anders als vorher. Doch ihre Hand war fort.
Da weinte sie, wie sie noch nie in ihrem Leben geweint hatte, haltlos wie ein kleines Mädchen. Fest drückte sie dabei Adrass’ Hand, die Hand ihres Feindes, die Hand ihres Vaters. Er nahm sie in den Arm, legte ihren Kopf an seine Brust, und trotz all dieser Verzweiflung spürte Adhara auch die Wärme dieser Umarmung, und das reichte ihr schon, um sich weniger allein zu fühlen.
24
Vergebung
E in Haus des Schreckens. Als solches beschrieben Theanas und Dubhes Abgesandte Uros Quartier. Mit wachsender Anspannung folgte die Magierin dem, was ihre Männer berichteten. Gefäße voll mit Nymphenblut hätten sie gefunden, und auch Leichen, deren Verwesung durch magische Verfahren beschleunigt wurde. Im Kellergeschoss waren Dutzende lebender Nymphen eingesperrt, die in regelmäßigen Abständen zur Ader gelassen wurden. Offenbar hatte sich Uro diesen ganzen Wahnsinn ohne fremde Hilfe ausgedacht und ganz allein diese schändliche Arbeit vorangetrieben.
Als die Soldaten sich daranmachten, seine Gefangenen zu befreien, schien der Gnom völlig den Verstand zu verlieren: »Aber versteht ihr denn nicht?«, rief er. »Ich kann die Aufgetauchte Welt retten! Ich bin der neue Held dieses Zeitalters!«
Nur mit Gewalt konnte man ihn wegschaffen.
Nun stand die Hohepriesterin reglos vor Kalth, dem jungen König, während der Gefangene einige Stockwerke
unter ihnen in einer Zelle hockte. Lieber wäre es Theana gewesen, man hätte ihn bereits hingerichtet, denn sie war sich bewusst, sich in gewisser
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