Die Feuerkämpferin 02 - Tochter des Blutes
endlich in Sicht kam, ergriff eine eigentümliche Erregung sie, und ein Schauer lief ihr über den Rücken. Würde sie die richtigen Worte finden, um den Nymphen alles zu erklären? Und wo würde sie überhaupt den Mut hernehmen, ihnen gegenüberzutreten, nach dem, was sie getan hatte – und immer noch deckte?
Sie schloss die Augen und versuchte zu beten. Das hatte ihr früher immer geholfen. Jedes Mal, wenn sie sich mit Zweifeln quälte, jedes Mal, wenn sie in einer schwierigen Lage steckte, hatte sie Thenaar um Beistand angefleht. Und immer hatte der Gott in ihrem Herzen einen Funken der Hoffnung und des Friedens entzündet. Ihr Vater kam ihr in den Sinn, an den sie schon lange nicht mehr gedacht hatte. Um sich selbst und dem, woran er glaubte, treu zu bleiben, hatte er seinem Gott Thenaar das höchste Opfer dargebracht und seinen Tod in Kauf genommen. Sie erinnerte sich, wie liebevoll und geduldig er ihr die Lehren und Künste des Priesterwesens nahegebracht hatte, erinnerte sich an die Zeit, die sie zusammen verlebt hatten.
Doch obwohl sie jetzt mit noch größerer Hingabe betete, wollte sich der innere Frieden nicht einstellen. Der Himmel blieb entsetzlich leer, und Thenaar schwieg.
Ein unerträgliches Gefühl der Hilflosigkeit, des Zorns und der Enttäuschung stieg in ihr auf. Wo hatte sie versagt?
Wann und wodurch hatte sie alles verloren, was sie einmal besessen hatte?
Fünf Tagesreisen brauchte sie bis ans Ziel. Der Ort lag dicht bei der Grenze zum Land des Meeres. Der Teil des Landes des Wassers, den Kryss bislang noch nicht erobert hatte, beschränkte sich mittlerweile nur noch auf einen schmalen Streifen am östlichen Rand. Doch schon bevor die Elfen anrückten, hatten die Nymphen den königlichen Palast in Laodamea aufgeben müssen und waren zur Flucht in ein Gebiet gezwungen gewesen, das man ihnen zugewiesen hatte. Dort wurden sie vom Vereinten Heer geschützt, denn die Nymphen selbst hatten niemals eine Armee besessen. Das Zusammenleben mit den Menschen war immer schon schwierig gewesen, doch jetzt waren diese zu einer echten Gefahr geworden, so dass es keine andere Möglichkeit gegeben hatte, als die Rassen zu trennen. So sperrte man die Nymphen in ein Reservat, das Tag und Nacht von Soldaten bewacht wurde.
Dort landete Theana jetzt, bekleidet mit ihren Alltagsgewändern, denn sie wollte um ihrem Besuch kein Aufhebens machen. Bei diesem Reservat handelte es sich im Grunde um ein großes, von einem Holzzaun umgebenes Lager, in dem aber, typisch für das Land des Wassers, ein Netz kleiner Bäche sprudelte und ein dichter Wald gewachsen war. Am Rand stand ein großes Zelt, in dem die Soldaten untergebracht waren. Aber darüber hinaus gab es keinerlei Gebäude oder Unterkünfte, denn darauf waren die Nymphen nicht angewiesen. Die Wälder waren ihr Zuhause, sie verschmolzen mit den Bäumen,
schliefen im Geäst und brauchten kein Dach über dem Kopf. Nur wenn sie mit Menschen die Ehe eingingen, was in letzter Zeit nur noch höchst selten vorkam, fanden sie sich mit den festen Mauern von Städten und Dörfern ab. Dann gaben sie ihren eigentlichen Lebensraum auf und lebten nach den Sitten und Gebräuchen der Menschen, sehnten sich aber im Herzen immer nach dem Grün der Wälder.
Theana ging zögerlich ein paar Schritte, weil sie nicht genau wusste, an wen sie sich wenden sollte.
»Herzlich willkommen, ehrwürdige Hohepriesterin!« Die Stimme ließ sie herumfahren.
Es war eine Nymphe, wunderschön, hauchzart und durchscheinend wie aus reinstem Wasser. Sie führte die Hände zur Brust und neigte zur Begrüßung respektvoll das Haupt. Doch als sie den Blick wieder hob, erkannte die Magierin in ihrer Miene einen Anflug von Unbeugsamkeit.
»Hier entlang«, forderte die Nymphe sie auf.
Theana hob die Hand. »Ich sehe hier weder Gebäude noch Zelte, und wir haben recht heikle Themen zu besprechen, die nicht für fremde Ohren bestimmt sind.«
»Hier entlang«, ließ sich die Nymphe nicht beirren und ging ohne weitere Erklärung vor. Theana folgte ihr. Es erschien ihr ratsam, sich so gefügig wie möglich zu zeigen, ihre Mission war ohnehin schon schwierig genug.
Sie gelangten zu einer kleinen Lichtung mit einem abgerundeten, auf der Oberseite flachen Felsblock in der Mitte. Die Nymphe deutete darauf, und nach einem kurzen Zögern setzte sich die Magierin dort nieder.
Ohne noch etwas hinzuzufügen, verschwand das ätherische Wesen, und Theana war allein. Die Zweige über ihr schaukelten im Wind und
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