Die Feuerkämpferin 03 - Im Land der Elfen
anderen. Allein schon die Vorstellung, sich zu verletzen, reichte aus. Die Knospen der Glocke strafften sich, bis die Spitzen ihr Handgelenk erreichten und in ihr Fleisch eindrangen. Adhara unterdrückte einen Schrei. Ein höllischer Schmerz lähmte ihren Arm bis über den Ellbogen. Mit äußerster Willensanstrengung führte sie die Klinge zum Fleisch. Kaum waren einige Blutstropfen zu Boden gefallen, löste sich alles um Adhara in diesem grünlichen Nebel auf, der den Tempel umhüllte. Sie sank nieder und spürte noch, wie sie abstürzte, in einen Abgrund, der kein Ende nahm.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie mit dem Gesicht halb im Schlamm. Stöhnend vor Schmerz richtete sie sich auf. Um sie herum waren wieder die Sümpfe, und seit sie dort eingetroffen war, schien kein Augenblick vergangen zu sein. Ihr Blick fiel auf die eiserne Hand, deren Finger den Dolch fest umschlossen. Sie hatte es
geschafft. Am Unterarm erkannte sie zwei rote, kreisrunde Male. Es war die Stelle, wo sie die Knospen der Glocke gestochen hatten. Der Dolch brauchte ihr Blut, um zustechen zu können, und während er es sich holte, bereitete er ihr diese wahnsinnigen Schmerzen. Dies war der Preis, den sie zahlen musste, wenn sie Amhal retten wollte.
Sie befestigte die Waffe am Gürtel. Sie würde sie nur benutzen, wenn es unumgänglich war: Sie hatte keine Lust, die schmerzvolle Erfahrung von vorhin zu wiederholen.
Sie öffnete ihre Feldflasche und goss sich etwas Wasser über das Gesicht. Ihre Haare waren schlammverklebt, und sie kämmte sie sich mit den Fingern. Während sie damit beschäftigt war, fielen ihr plötzlich einige weiße Strähnen auf. Verblüfft hielt sie inne. Sie hatte doch nie weiße Haare gehabt. Sie untersuchte sie aufmerksamer und stellte fest, dass sie nicht nur überall weiße Strähnen, sondern auch überhaupt keine blauen Haare mehr hatte.
Adhara richtete sich auf und schaute sich nach einer Wasserfläche um, in der sie sich spiegeln konnte. Sie fand eine schmutzige Pfütze, doch die reichte ihr, um sich darin zu erkennen.
Auch ihr einst violettes Auge hatte eine andere Farbe. Es war weißlich trüb, so als sei sie erblindet.
Als sie mit der Hand darüberfuhr, überkam sie plötzlich eine ungeheure Traurigkeit. Sie hatte etwas verloren, was ihr Adrass geschenkt hatte. Er hatte ihren Körper geschaffen, ihn mit neuem Leben erfüllt, und indem ihr Leib sich nun so veränderte, wurde verfälscht, was
durch seine Hände entstanden war. Wieder war etwas von ihrem Vater verlorengegangen.
Betrübt entfernte sie sich von dem Wasserloch, spülte ihr Haar noch einmal kurz ab und hängte sich dann den Quersack um. Genug gejammert. Nun war es Zeit, an die letzte Etappe ihrer Reise zu denken.
26
Dubhes Vermächtnis
D er Morgen graute bereits, als Amina vor den Toren Neu-Enawars eintraf. Rastlos, dem Drachen alles abfordernd, hatte sie den Weg zurückgelegt.
Ganz offensichtlich nicht auf ein solches Unternehmen gefasst, hatten sich die Elfen überrumpeln lassen. Nach der Einnahme des Landes des Windes und all der zahllosen kleinen Siege, die sie auf den Schlachtfeldern errungen hatten, hatten sie wahrscheinlich geglaubt, ihre Feinde hätten sich aufgegeben und seien zu keinem Gegenschlag mehr fähig. Diesen Vorteil hatte Amina für sich nutzen können und es tatsächlich geschafft, in wilder Hatz das befreundete Land der Felsen zu erreichen, nachdem sie ihre Verfolger dank eines heftigen Schneesturms über den Daress-Bergen hatte abschütteln können. Völlig erschöpft und durchgefroren war sie vom Drachen gestiegen.
An den warmen Leib des Drachen gelehnt, hatte sie sich hingelegt und sich von seinen kräftigen, beruhigenden Herzschlägen in den Schlaf wiegen lassen. Sie dachte noch kurz an Baol. In den ersten Stunden ihrer
Flucht hatte sie mehrmals überlegt, kehrtzumachen. Sie konnte ihn doch nicht einfach seinem Schicksal überlassen, schließlich hatte sie es nur ihm zu verdanken, dass ihr Vorhaben geglückt war. Aber es wäre sinnlos gewesen. Eine Rückkehr hätte ihren sicheren Tod bedeutet, und damit wäre auch Baols Opfer umsonst gewesen. Er hatte Recht: Sie selbst war alles, was jetzt noch von Dubhe erhalten war. Sie musste weiterleben, für alle, die ihr Leben gegeben hatten. Solange sie noch auf der Welt war, würde auch ihre Großmutter nicht vergessen sein.
Sie überlegte, wie folgenreich diese neue Einstellung war, die sie durch die Lehrzeit bei ihrer Großmutter gewonnen hatte: Wäre sie noch die alte
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