Die Feuerkämpferin 03 - Im Land der Elfen
das Blatt brachte, ging ihm das Wesen des Todes auf: Es war diese unendliche Ferne, die nur die Erinnerung überbrücken konnte.
Und er verstand. Wollte er nicht auch auf die gleiche Weise wie seine Mutter verschwinden, wollte er unsterblich werden durch die Erinnerung, die einzige Form der Unsterblichkeit, die auf Erden möglich war, so musste er etwas Grandioses schaffen. Wenn ihm das gelänge, würde sein Name einst in einem Atemzug mit den großen Helden genannt werden, von denen die Sagen berichteten, würde sein Porträt neben den großen Vorfahren riesengroß im Thronsaal prangen und
dort in den künftigen Jahrhunderten verbleiben. Alle, die sein Bildnis betrachteten, würden seiner wehmütig als des größten Königs gedenken, der je das Reich regiert hatte.
Doch wenn ihn jetzt diese rätselhafte Krankheit dahinraffte, wäre alles umsonst gewesen. Zu scheitern würde das wirksamste Gegenmittel gegen die Unsterblichkeit der Erinnerung sein. Wenn es sein musste, mochte er ruhig in der Blüte seiner Jahre sterben, aber nicht bevor er sein grandioses Werk abgeschlossen hatte.
Schwer atmend betrat der Heilpriester das Zelt. »Zu Diensten, Majestät«, murmelte er, während er sich verneigte. Dann betrachtete er das blasse, eingefallene Gesicht seines Königs, die bläulichen Lippen, und zog rasch ein Fläschchen aus seinem Gewand hervor. Davon tröpfelte er ihm ein wenig auf die Zunge. Ein langes Zucken durchlief Kryss’ Körper. Die Substanz schmeckte bitter, und die Einnahme war schmerzhaft. Erschöpft sank er zurück, doch sein Gesicht nahm wieder ein wenig Farbe an.
Nun machte sich der Priester daran, in einer Schale wieder einige Kräuter zu verbrennen, und bald erfüllte ein beißender Geruch den Zeltinnenraum. Kryss atmete ihn in vollen Zügen ein.
»Verzeiht, Majestät, aber Ihr müsst Euch den unleugbaren Tatsachen fügen: Das Gift hat Euren Körper angegriffen.«
Kryss spürte, wie ihm Wut die Kehle zuschnürte. Mit feurigem Blick starrte er den Priester an, doch der fuhr mutig fort: »Ich glaube nicht, dass alles verloren ist.
Doch Ihr solltet jetzt Maßnahmen ergreifen. Dieser kalte feuchte Winter in diesem Land ist Gift für Eure angegriffene Gesundheit, und mehr noch sind es die Entbehrungen der Schlachtfelder. Warum kehrt Ihr nicht nach Hause zurück? Oder unterbrecht zumindest den Feldzug bis zum Frühjahr, wenn das Klima milder ist? Auch Euren Soldaten würde eine Erholungspause guttun, und in der Zwischenzeit könnte ich mich um Eure Heilung kümmern …«
Da packte Kryss ihn an der Kehle. Unversehens schien er seine Kräfte wiedergefunden zu haben. »Du willst, dass ich aufgebe, du Wurm? Dass ich den Feldzug abbreche? Das Werk, das ich begonnen habe, lässt sich nicht abbrechen. Es ist nicht aufzuhalten, von nichts und niemandem. Nicht von den Menschen mit ihren Drachen oder ihren Magiern und noch viel weniger von diesem verdammten Körper. Erst wenn ich mein Ziel erreicht habe, werde ich mir den Luxus einer Pause gönnen!«
Wütend stieß er den Priester fort, der stolperte und zu Boden stürzte.
»Ihr setzt Euer Leben aufs Spiel, Herr«, jammerte er.
»Das ist mir gleich. Jetzt zählt nur, durchzuhalten, bis das Ziel erreicht ist. Noch sind die Menschen uneins und ohne Ordnung. Wenn es mir jetzt nicht gelingt, wird es mir niemals gelingen. Und du hast nur eine Aufgabe: mir wieder auf die Beine zu helfen. Nichts anderes.«
Der Priester biss sich auf die Lippen und wandte den Blick ab.
»Geh jetzt und lass San zu mir kommen«, fuhr der
König fort, während er sich auf seinem Lager aufsetzte.
Der Priester gehorchte ohne ein weiteres Wort.
Im Nu hatte sich San angekleidet, trat mit raschen Schritten ein und verneigte sich flüchtig vor dem König. Seine Züge wirkten angespannt, seine Augen wiesen dunkle Ränder auf, und er schien abgenommen zu haben. Kryss hatte geglaubt, seine Begegnung mit Ido würde dem Marvash neue Kräfte verleihen. Stattdessen schien ihm das Erlebnis zuzusetzen und ihn innerlich fast zu verzehren. Anfangs schien das Versprechen, das er ihm gegeben hatte, ein hervorragendes Mittel zu sein, sich die Kräfte des Marvashs zu sichern. Doch nun erwies es sich als zweischneidiges Schwert. Die Besessenheit, die er seit Tagen in Sans Augen wahrnahm, beunruhigte ihn und konnte ihm gefährlich werden.
»Hast du schlecht geschlafen?«, fragte Kryss ihn und spürte dabei, wie ihm ein Hustenanfall die Kehle kitzelte, konnte ihn jedoch nur mit Mühe niederhalten.
»Ich
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