Die Feuerkämpferin 03 - Im Land der Elfen
tiefe Rillen hineinpressen konnten. Noch fremdartiger aber wirkten die Gebäude. Sie waren aus Holz, das kunstfertige Zimmerleute und Schreiner meisterhaft verarbeitet hatten, war es doch durchweg Stein jeder Art und Form nachempfunden. Die meisten Gebäude waren schmal, mit spitzen Türmchen besetzt, und strahlten eine bedrückende Strenge aus, etwas, das an ein Exil erinnerte. Hoch und imposant säumten sie enge, gewundene Gassen. Braun in jeder Tönung war die dominierende Farbe. Einige Fassaden waren mit Intarsien aus andersfarbigen Hölzern verschönt, und trotzdem wirkte Orva mehr wie die Kopie einer Stadt als ein gewachsenes, mit Leben erfülltes Zentrum. Adhara hätte sich nicht gewundert, wenn sie an den Straßenecken keine lebenden Bewohner, sondern Holzstatuen erblickt hätte. Alles schien so streng und starr, dass die Heerscharen Verzweifelter, die heute die Straßen füllten, völlig unpassend wirkten. In dieser Stadt war für Leben, und mochte es noch so erbärmlich sein, kein Platz.
Immer weiter ließen sie sich von der Menge tragen,
bis sie zu einem kreisrunden Platz gelangten. Niedrige, sich aneinanderdrängende Häuser umstanden ihn. Nur ein größeres Gebäude, das zwei breite Alleen links und rechts von den anderen abtrennte, stach hervor. Dessen Grundriss war annähernd rund, doch darüber hinaus ließ sich seine Form schwer beschreiben. Ringsum verlief eine Reihe hoher Bögen, über der sich verschieden große Kuppeln wölbten. Diese wiederum wurden von einer mächtigen zentralen Kuppel überragt, deren Spitze in einer Art goldenen Fiale in Form eines Blitzes auslief. Rund um das Gebäude ragten sechs schlanke, beeindruckend hohe Türme auf, die in unterschiedlicher Höhe durch jeweils drei Balkone unterteilt waren. Anders als die anderen Häuser war dieses Bauwerk nicht in der Farbe von Holz gehalten, sondern in einem satten Rot gestrichen, so als habe das Blut unzähliger Opfer die Mauern getränkt.
Adhara war beeindruckt. Das Gebäude hatte etwas Majestätisches, Feierliches und gleichzeitig auch Finsteres und Beunruhigendes. Sie spürte, dass die Mauern etwas ausstrahlten, das ihr nicht unbekannt war und sie erschreckte. Vielleicht der Widerschein ihres Schicksal, jenes Schicksals, das sie auf so absonderliche Weise an Shevrar und seinen Gegenpol Phenor, die Göttin der Fruchtbarkeit, band.
Je näher sie dem Tempel kamen, desto erdrückter fühlte Adhara sich von seinen Umrissen. Die Wände waren über und über mit Ornamenten verziert, die, ihrem düsteren Glanz nach zu urteilen, aus Schwarzem Kristall zu bestehen schienen. Und sie erkannte Worte aus der Elfensprache wieder.
»Das ist ein Gebet, der berühmteste Psalm der Göttin«, erklärte Shyra ihr leise. »Thyuv, Phenors erste Priesterin, ließ ihn aufschreiben, damals, als die Götter beschlossen, sich von Erak Maar abzuwenden. Es sind die letzten Worte, die sie den Elfen hinterließen.«
»Und was bedeuten sie?«
»Es ist ein Abschiedsgesang. Eine Art Liebeserklärung an ein gesegnetes Land, das durch die Bosheit seiner Geschöpfe zugrunde gerichtet wurde. Eine Hymne an die einstige, nun zerstörte Schönheit, an den durch Machtgier verlorenen Frieden, die aber auch eine Hoffnung für die Zukunft mit einschließt: Phenor hat ja den Elfen die Fähigkeit verliehen, neues Leben hervorzubringen, eben weil sie letztendlich doch an dieses Volk und seine Fähigkeit zur Einsicht glaubte.«
Plötzlich blieb Shyra stehen, und Adhara bemerkte ihre verstörte Miene.
»Was ist denn?«, fragte sie leise, doch die andere antwortete nicht. Eine unbändige Wut schien sie erfasst zu haben, und als Adhara Shyras Blick folgte, erkannte sie auf einem der Balkone eine Gestalt. Von dort unten waren ihre Züge nicht klar auszumachen, doch schien es ein älterer Elf zu sein, der mit einem langen Umhang bekleidet war.
»An Pesharjai stand früher immer Lhyr auf diesem Balkon«, erklärte Shyra. »Von dort zeigte sie sich den Gläubigen im Kreis ihrer Mitschwestern und zelebrierte die Rituale.« Einen Moment lang schwieg die Elfe, die Stirn in Falten gelegt. »Und jetzt hat der da ihren Platz eingenommen, Larshar, diese Natter aus Kryss’ Nest.«
Von diesem Larshar hatte Shyra ihr schon erzählt, als sie den Plan für ihre Mission berieten. Er war einer der höchsten Shevrar-Priester und von Kryss als sein Statthalter in Orva eingesetzt worden. Als der König mit seiner Armee in die Aufgetauchte Welt aufgebrochen war, hatte sich in der Stadt der
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