Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
das Tage dauert? Haben wir genug Wasser für eine so lange Wartezeit? Zwar sind wir hier von Wasser umgeben, aber dennoch sind wir letztlich genauso allein und vom Verdursten bedroht wie auf einer Reise mitten durch die tiefste Wüste.
Es dauert nicht lange, und mein ganzer Körper schmerzt vor Anstrengung– mein Rücken, meine Schultern, meine Handgelenke. Meine Handflächen und Finger sind wund gerieben, und jeder neue Zug an den Riemen lässt mich nach Atem ringen. Mara und ich wechseln schließlich die Seiten, damit wir ein paar andere Muskeln quälen können, aber auch das sorgt nicht lange für Erleichterung.
Um nicht an den Schmerz denken zu müssen, betrachte ich Hector. Er schläft fest, seine Brust hebt und senkt sich bei seinen tiefen, ruhigen Atemzügen. Sein Gesicht hat sich entspannt, und sein Haar, das allmählich trocknet, lockt sich leicht an den Schläfen. Sein Mund ist ein klein wenig geöffnet.
Meine Lippen kribbeln, als ich mich an den Kuss erinnere. So verzweifelt und zärtlich und unerwartet– und doch so leicht wie Atmen.
Später, wenn wir das geheimnisvolle Schiff gefunden haben und in Sicherheit sind, wenn ich Zeit habe, mich in einer geschützten Ecke auszuruhen und mir in aller Ruhe Sorgen zu machen, dann werde ich ihn kühl daran erinnern, dass eine Königin immer strategisch denken muss. Und ich werde mir vorstellen, dass ich den Mann, den ich liebe, wegschicke, damit er meine Schwester heiratet. Vielleicht werde ich die Szene im Kopf durchspielen. Damit ich mich schon mal an das Gefühl gewöhnen kann.
Aber jetzt nicht. Jetzt, da ich einem unbekannten Ziel entgegenrudere und sein Kuss noch auf meinen Lippen pulsiert, gebe ich mich einfach dem Genuss hin, ihm beim Schlafen zuzusehen.
21
E s ist Sturm, der schließlich das Schiff entdeckt. » Da!«, ruft er und zeigt übers Wasser.
Ich drehe mich um und beschatte mein Gesicht, um gegen das helle Licht etwas erkennen zu können. Die Küste macht hier eine leichte Biegung nach Südosten und verdeckt den größten Teil des Schiffes, aber ich kann einen langen Bugspriet sehen, mit einem rot bemalten Schnabelkopf geschmückt, und ein Stück Tuch, vielleicht ein Focksegel, das schlaff im windlosen Morgen hängt. Mich erfasst ein Gefühl zwischen Hoffen und Bangen.
Bitte, Gott, lass es das richtige Schiff sein.
Ich beuge mich vor und rüttle Hector am Arm. Er wird mit einem Ruck wach und fasst sofort mit der Hand nach dem Schwertgriff.
» Stoßt Euch nicht den Kopf«, sage ich und halte vorsichtshalber meine Hand zwischen seine Stirn und die Bank über ihm. » Da ist ein Schiff, südlich von uns. Ich glaube nicht, dass man uns schon gesehen hat.«
Er blinzelt sich den Schlaf aus den Augen und betrachtet stirnrunzelnd die Blasen an meinen Händen.
Ich ziehe meine Hand zurück. » Ist es das richtige Schiff?«
Mit immer noch gerunzelter Stirn kriecht er unter der Bank hervor und sieht dann konzentriert nach Süden. Lange Zeit bleibt er still. » Ich denke, ja«, sagt er dann, und irgendwie kann ich die raue Hoffnung kaum ertragen, die sich über sein Gesicht zieht. » Wir müssen ein wenig näher heran, um sicher sein zu können.«
Ich nehme den weichen, breitrandigen Hut und werfe ihn Sturm zu. » Setzt das auf.«
Er schiebt sich den Hut auf den Kopf und kauert sich zusammen. Ich mache ihm keinen Vorwurf wegen seiner Angst; auf so engem Raum, wie er auf einem Schiff unweigerlich herrscht, würde jeder in ihm den Invierno erkennen, trotz seines schwarz gefärbten Haars.
Hector und Belén übernehmen jetzt wieder die Riemen, und wir pflügen leichter und schneller durchs Wasser. Mara und ich tauschen einen finsteren Blick.
Allmählich kommt das ganze Schiff in Sicht. Es ist eine herrliche caravela mit drei Masten, deren Rumpf mit kompliziert verschlungenen Linien aus poliertem Mahagoni und einem roten Bordstreifen verziert ist. Um den Bug ranken sich gemalte Sakramentsrosen, und es sieht aus, als würden ihre Blütenblätter fallen, sich in Blutstropfen verwandeln und dann im Meer versinken.
» Das ist sie«, sagt Hector. » Die Araceli.«
Mein Herz klopft. Ich habe das Gefühl, als würde ich gleich etwas sehr Wichtiges über Hector erfahren. » Sollten wir uns bemerkbar machen?«, frage ich.
Er wirft den Kopf in den Nacken und lacht. Als wir ihn alle verblüfft anstarren, erklärt er: » Ich hatte mir so ein schlaues System ausgedacht, wie wir ihnen aus großer Entfernung Zeichen geben könnten. Aber wenn die See so ruhig
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