Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
dass er uns beide nicht stürzen lassen wird.
» Hier sind Schlieren in dem Schleim«, sagt Fernando, und seine Stimme hallt in der Enge. » Jemand ist hier entlanggegangen.«
» Es gab keine Fußspuren in der Grabkammer«, erwidert Hector.
» Sah der Fußboden vielleicht auch zu sauber aus?«, frage ich. » Wer hat sich dort als Erster umgesehen?«
Hector bleibt unversehens auf einer Stufe stehen, und meine Knie stoßen von hinten gegen seine Schenkel. Dann geht er ohne zu antworten weiter. Vielleicht will er den Namen des Generals nicht in Hörweite seiner Leute nennen.
Mein verletzter Bauch pocht vor Anstrengung, als die Treppe in einen niedrigen Tunnel mündet. Der Sandboden ist ein wenig geriffelt, wie fester Sand am Strand, wenn die Wellen über ihn zurückgeflutet sind.
» Bei Hochwasser ist das hier alles überschwemmt«, sagt Hector und spricht aus, was ich mir auch gerade gedacht habe. Er deutet auf die Wand, auf der sich bis auf Kniehöhe Seepocken festgesetzt haben.
Vor Enttäuschung muss ich schlucken. Alle Spuren derer, die vor uns hier gewesen sind, werden vom Wasser weggespült worden sein, und dementsprechend werden wir hier unten höchstwahrscheinlich keinen Hinweis auf den möglichen Angreifer finden.
Fernando stößt einen leisen Schrei aus, und wir alle zucken zusammen. » Entschuldigung«, sagt er atemlos. » Eine Krabbe.« Ich bin plötzlich sehr dankbar über meine Wüstenstiefel, die mich vor Schleim und Sand und seitwärts laufenden Geschöpfen schützen.
Etwas an der Wand erregt meine Aufmerksamkeit, eine in den Stein gravierte Linie. » Was ist das?«, frage ich und zeige darauf. Fernando hebt seine Fackel, und ihr Schein fällt auf eine Schrift, deren Buchstaben etwa die Höhe meines kleinen Fingers haben. Mein Feuerstein erwärmt sich bei dem Anblick und spürt offenbar etwas Vertrautes.
» Es ist in der Lengua Classica«, sagt Ximena mit vor Staunen rauer Stimme. » Aus der Scriptura Sancta.«
Ich übersetze schnell. » Das Tor, das zum Leben führt, ist schmal und klein, sodass nur wenige es finden.«
Ximena fährt mit dem Finger über die Buchstaben. Sie war einst, bevor sie meine Kinderfrau wurde, Schreiberin im Kloster zu Amalur, und sie teilt mein großes Interesse an alten Texten und heiligen Schriften.
» Sieh dir diesen Kringel an«, bemerkt sie. » Und den Schwung am Ende des Akzentzeichens. In diesem Stil wird seit Jahrhunderten nicht mehr geschrieben.«
» Aber richtet sich dieser Spruch an jene, die kommen, oder an jene, die gehen?«, überlege ich. » Welche Richtung ›führt zum Leben‹?«
» Es gibt nur einen Weg, um das herauszufinden«, sagt Hector, und es wärmt mich innerlich, die gespannte Neugier in seiner Stimme zu hören.
Der Sandstein rückt auf beiden Seiten immer näher, bis der Korridor so schmal wird, dass die schwer gerüsteten Schultern der Leibgardisten kaum noch gerade hindurchpassen. Obwohl es hier unten kühl und luftig ist, bin ich mir des Gewichts der Felsen über unseren Köpfen deutlich bewusst. So riesenhaft, so schwer. Eine ganze Stadt geht über uns ihren Geschäften nach. Meine Anspannung steigt, als Fernando » noch eine Treppe« ankündigt.
Diesmal geht es wieder nach oben, geradeaus und nicht gewunden, und auf Stufen, die wie mit einer ungeschlachten Riesenaxt roh in den Stein gehauen sind. Erleichtert stelle ich fest, dass sie trocken sind und nicht von Schimmel überzogen.
» Fernando«, sagt Hector, » verdeckt Eure Fackel.«
Der Wächter gehorcht und hält sie hinter seinen Rücken. Ximena tut es ihm gleich, und nun sehen wir, dass ein anderer Lichtschimmer die Treppe vor uns leicht erhellt.
» Meint Ihr, sie führt nach draußen?«, frage ich.
» Dazu sind wir zu tief hinabgestiegen«, erwidert Hector. » Wenn ich mich nicht irre, dann befinden wir uns jetzt unterhalb des Sumpfviertels.«
Das Sumpfviertel. Der gefährlichste Teil meiner Stadt, den ich nicht einmal mit bewaffneter Eskorte betreten soll. Jeder Herrscher, der vor mir in Brisadulce regierte, hat versprochen, etwas an den schlechten Lebensumständen dort zu ändern, mit unterschiedlichen – und meist wenig überzeugenden – Ergebnissen. Hier bilden Huren und Bettler und Schwarzmarkthändler eine Gesellschaft für sich, in der mein Wort nichts gilt.
Hector wendet sich mit entschlossenem Blick mir zu. » Euer Majestät, wenn ich fühle, dass Ihr in Gefahr seid, werde ich Euch von hier wegbringen, wenn nötig, auch gegen Euren Willen.«
» Und wenn es
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