Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
eigentlich sagen will. Dass ich mir nicht den Kopf gestoßen habe? Das habe ich ganz offensichtlich eben doch. Vielleicht habe ich versucht, noch einmal aufzustehen, und bin ein zweites Mal gestürzt. Bei all dem Blut, das ich verloren habe, ist es eigentlich ein Wunder, dass ich mich überhaupt noch an so viele Einzelheiten erinnere.
» Elisa?«
Der Klang von Hectors Stimme holt mich aus meinen Gedanken, und ich sehe auf. Das Fackellicht zeichnet hohle Schatten auf seine Wangen. » Ich bin mir nicht sicher. Ich…« Da ist etwas mit dem Licht. Die Art, wie es sich bewegt. Ganz anders als in meinem Traum. Mein Blick gleitet zu der Fackel, die er mit sich führt. » Eure Fackel.«
Er wartet geduldig, bis ich meine Gedanken ordne; inzwischen weiß er, wie mein Verstand arbeitet.
Denk nach, Elisa! Und dann habe ich es. » Die Flamme Eurer Fackel flackert nicht.«
» Nein«, erwidert er. » Sie ist ganz ruhig.«
Alle beobachten uns, beobachten mich. Vielleicht sind sie besorgt, dass meine Verletzungen meinen Verstand doch beeinträchtigen, und dass es, wie Doktor Enzo sagte, einen bleibenden Schaden gibt. Aber meine Gedanken sind klarer denn je.
» In meinem Traum– nein, in meiner Erinnerung – war da ein Windhauch.« Ich schließe die Augen und lausche dem unterirdischen Fluss, der durch die Kavernen strömt. Ganz deutlich erinnere ich mich an den Luftzug auf meinem Gesicht, bevor die Fackel ausging. » Es war mehr als nur ein Hauch. Es war ein heftiger Windstoß. Ich hatte meine Fackel in die Halterung an der Wand geklemmt. Und als der Wind blies, erlosch sie.« Ich öffne meine Augen.
Es ist so eine kleine Sache, eine winzige Ungereimtheit, aber ich bin die Königin, und sie müssen mich ernst nehmen.
» Vielleicht hat jemand die Tür oberhalb der Treppe geöffnet«, überlegt Ximena.
» Oder vielleicht ist jemand sehr eilig vorübergelaufen?«, meint einer der Leibgardisten.
» Ihre Majestät sprach von einem Windstoß«, sagt Mara. » Von dem Luftzug eines vorüberlaufenden Menschen erlischt eine Fackel nicht.«
» Vielleicht hatte er üble Winde«, meint ein anderer. » Wisst ihr überhaupt, was für einen Fraß wir in der Kaserne vorgesetzt bekommen?«
» Fernando!«, raunzt Hector, aber ich fange an zu kichern. Es ist zwar nicht besonders witzig, aber alle lachen mit, und ich genieße diesen Augenblick noch ein wenig länger, weil sich das Lachen trotz der Schmerzen einfach schön anfühlt.
Schließlich reiße ich mich wieder zusammen und spreche das aus, was alle anderen inzwischen sicherlich auch denken: » Ich vermute, wir sollten in Erwägung ziehen, dass es einen geheimen Zugang zu dieser Kammer gibt.«
6
M ir fällt der Fluchttunnel ein, den Hector und ich benutzt haben, um wieder in den Palast zu gelangen, und mir wird klar, dass mein neues Zuhause sicherlich noch weitere Geheimnisse birgt, von denen viele in Vergessenheit geraten sind oder im Laufe der Jahrhunderte durch Renovierungen oder Umbauten verloren gingen.
Ximena drängt sich an mir vorbei und fährt mit den Fingerspitzen über die Steinmauern. » Wenn es einen anderen Weg hier hinein gibt«, raunt sie, » dann müssen wir ihn finden!« Da hat sie recht, wir können es nicht wagen, einen Weg in den Palast unbewacht zu lassen.
Nun wollen sich alle an der Suche beteiligen, und meine Kinderfrau organisiert diese mit strategischem Geschick. Jedes Stückchen Wand und Boden wird sorgfältig von prüfenden Fingern abgetastet. Es drängt mich danach, selbst mitzumachen, aber ich kann mich gerade eben auf den Beinen halten, wenn ich mich gegen einen leeren Sarkophag lehne.
» Sucht ganz leise«, sagt Ximena. » Und wenn ihr etwas hört oder eine Luftbewegung fühlt, dann gebt mir Bescheid.« Es überrascht mich nicht, dass meine Beschützerin sich so gut mit Geheimgängen auskennt. Sie weiß wahrscheinlich ebenso viele Wege, aus einer Festung herauszukommen, wie sie Möglichkeiten kennt, einen Menschen zu töten.
Mara kniet auf dem Boden und sagt plötzlich: » Ich fühle etwas. Vielleicht einen Luftzug.«
Ich mache eine schnelle Bewegung, viel zu schnell, und Schmerz bohrt sich in meine Seite. Hector ist sofort bei mir, und ich lehne mich an ihn.
» Aus welcher Richtung?«, fragt Ximena.
» Schwer zu sagen.« Mara sieht auf. » Ich habe es an meiner linken Wange gespürt.«
Einer der Leibgardisten hockt sich neben sie, eine Fackel in der Hand.
» Passt auf das Banner auf«, warnt Ximena, als die Flamme gefährlich nahe an den
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