Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
nicht hierherbringen lassen sollen. Er hat schließlich nichts weiter getan, als sich einer königlichen Vorladung zu widersetzen.
Die letzte, oberste Plattform ist weniger dreckig als die anderen und verfügt über einige zusätzliche Maueröffnungen, die Luft und Licht hereinlassen, außerdem gibt es hier eine kleine Pritsche und einen Eimer für Ausscheidungen statt nur Stroh. Aber Sturm weiß diese Vorzugsbehandlung offensichtlich nicht zu schätzen. Er läuft auf und ab wie eine rastlose Katze, geschmeidig und federnd und von Jagdtrieb erfüllt. Die Fußfesseln sind unter seinem langen, schwarzen Mantel verborgen, aber sie machen sich bei jedem Schritt mit einem Rasseln bemerkbar.
Als er uns sieht, stößt er ein kehliges Knurren aus, das mir einen Schauer über den Rücken jagt. Es scheint tief aus seiner Brust zu kommen, ein Geräusch, wie ich es noch nie zuvor von einem Menschen vernommen habe.
Eine winzige Hand schiebt sich in meine, und schnell blicke ich zu Rosario hinunter, um zu sehen, ob er der Situation gewachsen ist. Aber der Griff nach meiner Hand ist das einzige Zeugnis seiner Angst. Er beugt sich vor und betrachtet mit zusammengekniffenen Augen seinen Feind. Ich drücke leise seine Finger.
» Hallo, Sturm«, sage ich ruhig und gelassen.
Er fährt herum, und seine grünen Augen bohren sich in meine. » Du verkommene Kuh«, stößt er hervor, und Hectors Schwert fährt aus der Scheide. » Wir hatten eine Abmachung.«
Ohne mich dem Blick des Inviernos zu entziehen, halte ich Hector die freie Hand vor die Brust, um ihn vor überstürzten Taten zurückzuhalten. » Und Ihr habt sie gebrochen. Ihr habt mir die Audienz verweigert.«
» Ich hätte Euch gern bei mir zu Hause empfangen.«
Seine Kühnheit amüsiert mich wirklich, und ich muss lachen. » Sicherlich ist Euch klar, dass es für mich höchst schwierig gewesen wäre, dorthin zu kommen? Es hat zwei Anschläge auf mein Leben gegeben. Einer ereignete sich ganz in der Nähe des unterirdischen Dorfes, das Ihr Euer Zuhause nennt. Das konnte ich natürlich nicht riskieren.«
» Und da habt Ihr lieber mein Leben riskiert, indem Ihr mich hierherbringen ließet. Ich werde binnen zweier Tage tot sein. Damit habt Ihr mich umgebracht, so viel ist gewiss.«
Ich beschließe, ihm die Ehrlichkeit zuteilwerden zu lassen, auf die sein Volk seiner Behauptung nach so viel Wert legt. » Wenn ich zwischen meinem und Eurem Leben entscheiden muss, wähle ich das Eurige. Und ich würde jederzeit wieder so handeln. Ohne Zögern.«
Nun weicht etwas Widerstand aus seinen Augen. » Das würde ich ebenso machen«, räumt er ein.
» Ich beabsichtige, Euch entweder gehen oder Euch an einen anderen Ort bringen zu lassen. Das habe ich noch nicht entschieden.«
Mit einer Bewegung seines spitzen Kinns deutet er zu meinen Begleitern. » Wer sind diese Leute? Der Krüppel und die alte Frau? Ich erkenne nur den Kommandanten und den Prinzen.«
» Der ›Krüppel‹ ist mein Freund Alentín. Die ›alte Frau‹ ist meine Freundin Ximena.«
» Sie müssen Euch sehr wichtig sein, dass Ihr sie hierher mitbringt.« Als er merkt, dass ich ihm dazu nichts weiter erklären werde, zuckt er die Achseln und sagt: » Was muss ich tun, damit Ihr mich gehen lasst?«
» Erzählt uns, was Ihr über das Tor wisst, das zum Leben führt.«
Seine Augen weiten sich. Mit gekrümmten Zeigefingern schiebt er sich das honiggoldene Haar hinter die Ohren, und die Bewegung erschreckt mich beinahe, weil sie so normal und menschlich wirkt. Er wendet uns den Rücken zu. Ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen.
Schließlich sagt er, immer noch zur Wand gerichtet: » Nehmt mich mit Euch.«
» Was? Wohin sollen wir Euch mitnehmen?«
» Nach Süden. Wenn Ihr danach suchen geht.«
» Wonach? Wir haben noch gar nicht beschlossen, irgendwo…«
Er fährt wieder herum, und seine grünen Augen funkeln. » Ihr werdet gehen. Macht keinen Fehler. Es ist der Wille Gottes.«
Es bringt mich immer maßlos auf, ständig auf Leute zu stoßen, die behaupten, genau über Gottes Willen Bescheid zu wissen.
» Ich verliere die Geduld, Sturm. Sagt mir alles, was Ihr darüber wisst, oder Ihr werdet diesen Turm nicht auf Euren eigenen Beinen verlassen.«
Er schürzt die Lippen, während er abwägt, wie seine Chancen stehen. Dann sagt er: » Das Tor, das zum Leben führt, ist ein geheimnisvoller, mächtiger Ort, der jenseits des Meeres liegt. Aber es ist unmöglich, dorthin zu steuern. Nur jene, die von Gott
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