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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle
Autoren: Heinrich Spoerl
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steht das nicht.“
    Als der kleine Luck, allmählich etwas
kalt und blau geworden, in seine Kleider schlüpfte, verzog er schmerzlich das
Gesicht. Hans Pfeiffer kam ihm zu Hilfe. Man hatte dem Luck Hose und Hemd mit
Stecknadeln gespickt. Es dauerte erst eine ganze Weile, bis man sie alle
herausgezogen hatte. Und dann waren es doch nicht alle.
    Auf dem Nachhausewege kam Hans Pfeiffer
wieder ins Philosophieren.
    „Du mußt dir darüber klarwerden, Luck:
Der Mensch ist von Natur aus roh und ohne Mitleid. Genau wie die Natur selbst.
Auch die Kinder sind es noch. Sie quälen Tiere, rupfen den Fliegen die Beinchen
aus, schneiden Regenwürmer in Scheiben und denken sich nichts Böses. Mitleid
ist Kulturerzeugnis und wird anerzogen.“
    „Aber Primaner sind doch keine Kinder.“
    „Darüber läßt sich streiten. Frag mal
unsere Lehrer. Übrigens der einzelne tut dir ja auch nichts. Aber immer da, wo
sich Massen bilden, wo der Mensch zur Menge wird, regen sich tiefe Instinkte.
Denk an Volksversammlungen, an Revolutionen, an Lynchjustiz. Abgesehen davon
hat aber auch jeder einzelne das Bedürfnis, seine Bosheit irgendwo auszulassen
oderwenigstens seine schlechte
Laune. Viele halten sich einen Hund. Wie sich früher die Fürsten einen
Hofnarren hielten. Nach dem Gesetz des geringsten Widerstandes nimmt man sich
dazu einen möglichst Schwachen. Und du hast nun mal das Pech, in der Klasse der
Schwächste zu sein.“
    „Aber nicht mit dem Kopf, bitte sehr.“
    „Um so schlimmer für dich. Das können
sie schon gar nicht ertragen, daß ein Schwacher sich erdreistet, klug zu sein.
Sie werden dem Schwachen immer beweisen, daß ihm seine Klugheit nichts nutzt.
Aber nun kommt das Scheußliche, mein guter Junge: Wenn das Piesacken mal
angefangen hat, dann wird es Mode. Dann tut es jeder mit, ohne zu wissen, wieso
und warum. Das ist im öffentlichen Leben genau so wie im kleinen und privaten.“
    „Hans, jetzt tue ich es gerade.“
    „Was?“
    „Das weiß ich noch nicht. Ich werde
schon was finden.“
     
    *
     
    Am nächsten Tag meldete sich Hans beim
Kastellan des Gymnasiums, um seinen Karzer abzusitzen.
    Hans strahlte vor Glück. Er hielt
Karzer für den Inbegriff aller Schülerromantik und war sichtlich stolz darauf,
in den kurzen Wochen seiner Anwesenheit einen solch offenkundigen Erfolg
errungen zu haben.
    Der Kastellan führte ihn ins Erdgeschoß
eines Seitenflügels. Er hieß Kliemke und war ein muffiger Patron. Er hielt sich
selbst für die wichtigste Person der Schule, jedenfalls wichtiger als die
Lehrer. Denn Lehrer gab es viele an der Schule. Ihn aber gab es nur einmal.
Außerdem konnte er tischlern und tapezieren.
    Vor der Karzertür griff Hans in die
Tasche. „Hier sind zwei Mark. Besorgen Sie mir ein paar Flaschen Bier.“
    „Alkoholische Getränke sind verboten. —
Haben Sie was zu rauchen?“
    „Gott sei Dank“, erwiderte Hans und
schwang sein gefülltes Zigarettenetui.
    „Rauchen ist auch verboten.“
    Und schon war das Etui konfisziert.
    Karack, machte der rostige Schlüssel,
und dann war Hans Pfeiffer eingesperrt. Wunderbar. Jetzt hatte er drei Stunden
Zeit, sich mit seiner Zelle vertraut zu machen.
    Das Karzerlokal war nichts anderes als
eine leere Rumpelkammer von unsagbarer Öde und Traurigkeit. Vier lieblos
gekalkte Wände. Von den berühmten Karzer-Inschriften, die Hans zu
psychologischen und folkloristischen Studien zu verwenden gedachte, fand sich
keine Spur. Das einzige Möbelstück war eine kleine Holzbank.
    Hans zog Notizbuch und Bleistift und
schickte sich an, ein grimmiges Feuilleton zu schreiben über verlogene
Romantik. Nach den ersten drei Worten brach ihm vor Grimm die Spitze des
Bleistiftes. Ein Taschenmesser hatte er nicht bei sich. Darum dachte er sich
ein Gedicht aus, in welchem er den Wert eines Taschenmessers besang. Er wollte
sich das Gedicht aufnotieren. Zum abgebrochenen Bleistift aber fehlte immer
noch das Taschenmesser.
    Der Kastellan würde ihm einen Bleistift
besorgen. Das war sicher nicht gegen die Schulordnung. Hans suchte rechts und
links, oben und unten, aber er fand keine Klingel. Bedienung war nicht
vorgesehen.
    „Schweinerei!“ sagte Hans laut vor sich
hin. Dann setzte er sich auf die kleine Bank, stützte den Ellbogen auf die Knie
und den Kopf auf die Handfläche. Er versuchte zu schlafen. So wie man es in der
Klasse macht. Aber es wurde nichts. Es fehlte das wohltuende Geräusch des
dozierenden Lehrers.
    Das soll nun ein Karzer sein! Ein
Mumpitz war es, ein
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