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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle
Autoren: Heinrich Spoerl
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aufgelegter Betrug.
    Er versuchte wenigstens zu dösen. Dabei
kam er ins Nachdenken über sich und die Welt und ging in sich.
    Der Karzer erfüllte seinen Zweck.
    Hans zog Bilanz. Die Sache mit dem
Heidelbeerwein war ihm auf die Butterseite gefallen. Der Vorsagespiegel war
vergessen; ein anderer konnte ihn neu erfinden. Das Ding mit dem verschwundenen
Schuh war anonym geblieben. Das einzige, womit er immer noch imponierte, war
sein Jiu-Jitsu-Griff. So ist die Welt, dachte er. Bizeps schlägt Großhirnrinde
10:1!
    Er hatte es satt. Den Schulbetrieb
kannte er. Frau Windscheid fiel ihm langsam auf die Nerven. Auch sonst war
nichts los. Demnächst war Sommerfest des Ruder- und Schwimmvereins. Die
Honoratioren werden vollständig erscheinen. Die Honoratioren haben Töchter.
Vielleicht auch hübsche Töchter. Aber nicht für ihn, den kleinen Primaner. Auch
nicht für ihn, den verwöhnten Schriftsteller. Und erst recht nicht für ihn, den
ausgekniffenen Bräutigam.
    Wie er nun da hockte und mangels
Besserem ein reiches Innenleben führte, vernahm er Wispern und Kichern draußen
auf dem Gang.
    Einem Menschen, der Langeweile hat, ist
jedes Geräusch willkommen. Hans spitzte unauffällig die Ohren.
    Das waren weibliche Stimmen da draußen.
Helle weibliche Stimmen. Putzfrauen? Bewahre. Das waren keine Putzfrauen. Das
war eine Oktave höher.
    „Wollt ihr mal einen richtigen Karzer
sehen?“
    „Ist er auch vergittert?“
    „Wenn wir Glück haben, sitzt einer
drin.“
    „Richtig bei Wasser und Brot? Huh!“
    Das Gekicher kam näher und machte vor
der Tür halt. Hans fühlt, daß er beobachtet wird. Er dreht sich um und bemerkt
ein kleines Guckloch, und darin abwechselnd ein braunes Auge, ein blaues und
eins von ungewisser Farbe. Hans nimmt ein Stück Papier und klebt es mit Spucke
über das Guckloch. Es wird von außen weggestoßen. Die Augen sind wieder da;
abwechselnd ein blaues, ein braunes und ein ungewisses. Zwischendurch das
Wispern und Kichern.
    Augen, die durch eine Larve schauen,
sind gespenstisch. Aber Augen, die einen Menschen durchs Guckloch anstarren,
können Raserei bewirken. Hans zwang sich zur Ruhe. Wie ein gefangenes Tier,
dachte er. Wie ein Schimpanse, der sich im Käfig begaffen lassen muß.
    Entschlossen macht er auf seiner Bank
kehrt und zeigt dem Guckloch seine Hinterfront.
    Die Mädels ließen nicht locker. Nun
gerade nicht.
    „Sie! Sind Sie das mit dem
Heidelbeerwein?“
    „Sie — das haben Sie fein gemacht.“
    „Sie! Sie haben wohl rechte Langeweile?“
    „Wollen Sie nicht ein bißchen mit uns
Spazierengehen?“
    „Laß ihn doch. Der hat heute keine
Zeit.“ Das Bewußtsein, zwischen sich und dem angeredeten Jüngling eine fest
verschlossene Pforte zu haben, machte die Mädchen kühn.
    Hans war sich nicht im klaren, ob er
als Schriftsteller oder als Oberprimaner zu reagieren habe. „Alberne Gänse!“
schnob er. Es war ihm nichts Besseres eingefallen. Doch schien es geholfen zu
haben. Denn draußen war nichts mehr zu hören.
    Das war natürlich Komödie von den
Mädchen. Sie wollten ihn durch Ungewißheit narren. Und richtig, nach zwei
Minuten ertönte es wiederum.
    „Sie!“
    Hans hatte den Humor verloren. Einen Wehrlosen
aufzuziehen, das war schon was Rechtes. Der Fall Luck fiel ihm ein.
    „Sie — wollen Sie vielleicht eine
Zigarette?“
    Und schon erschien eine im Guckloch.
Hans sprang auf und grapschte danach. Aber weg war sie.
    „Sie dürfen ja gar nicht rauchen. Das
ist verboten im Karzer. Aber wir können Ihnen was vorrauchen.“
    Hans zermarterte sein Gehirn. Was mögen
das für Mädchen sein?
    Während er überlegte, erschien ein Mund
im Guckloch, und gespitzte Lippen bliesen eine dicke Wolke in den Raum. Dann
ein anderer Mund, der dasselbe tat. Dann ein dritter. Immer abwechselnd, mit
gespitzten Lippen Rauch blasend. Ein herzförmiger, ein kirschförmiger und ein
kußförmiger.
    Der kleine Raum war schnell mit Rauch
erfüllt.
    „Eva, jetzt müßte dein Vater kommen“,
jubelte es draußen.
    „Dann kriegt er nochmal Karzer, weil er
geraucht hat.“
    Aus dem Direktor machte sich Hans herzlich
wenig. Aber diese Lippenparade ging allmählich über seine Kraft.
    „Meine Damen, ich warne Sie!“
    Die Damen ließen sich nicht warnen. Sie
spitzten ihren Mund noch spitzer und bliesen noch emsiger. Ein kirschförmiger,
ein herzförmiger und ein kußförmiger.
    Jetzt hat es geschnappt, denkt Hans,
kauert sich unhörbar an der Karzertür nieder und wartet. Zum Sprung geduckt wie
ein
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