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Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Spoerl
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das große Gepäck wurde nachgeschickt —, legte den
Sommermantel über den Arm und setzte seinen grauen Filzhut auf. Es war
derselbe, mit dem er damals gekommen war. Jetzt kam er sich darin vor wie ein
alter Mann.
    Der Abschied von Frau Windscheid war
kurz, aber schmerzhaft. Er hätte sie beinahe geküßt. Noch lange, nachdem er
fort war, wischte sie sich mit der Schürze die Augen.
     
    *
     
    Der Weg zum Bahnhof war nur wenige Minuten. Er führte am Gymnasium vorbei. Hans hätte ja auch einen
Umweg machen können. Aber warum sollte er dem alten, ihm liebgewordenen Kasten nicht
noch einen Abschiedsblick zuwerfen?
    Merkwürdig übrigens, er hatte sich das
Gebäude noch nie so recht von außen angesehen. Tag für Tag war er denselben
Trott gegangen und durch das alte eiserne Tor mit der riesenhaften Klinke
einspaziert, manchmal hastig, manchmal schlendernd, manchmal auch gar nicht,
wie an jenem denkwürdigen Morgen, als Luck das Schild hingehängt hatte. Auch
die lange Mauer zwischen Schulhof und Straße kannte er nur von innen.
    Es war kurz vor zehn. Der Unterricht
war überall in vollem Gange. Die Fenster standen weit offen; der Schall aus den
Klassen drang auf die stille Straße.
    Hans blieb stehen und lauschte. Hier
war die Sexta. Hohe helle Stimmchen konjugierten. Und der Chor leierte tapfer
mit: „Amo — amas — amat — amamus — amatis — amant“.
    Er ging ein paar Schritte weiter. Über
ihm war die Untertertia. Eine unsichere, ins Falsett schnappende Stimme
erzählte vom Amazonenstrom. Es ging verdammt stackerig. Das gibt eine 4, dachte
Hans. Oder höchstens 3—4.
    Und da oben an der Ecke, da war auch
die Oberprima. Seine Oberprima! Dr. Brett hatte Unterricht. Man hörte die
harte, knarrende Stimme. Dazwischen auch die anderen, Husemann, Schrader,
Knebel, den langen Rosen. Man konnte nicht verstehen, was sie sagten; aber er
erkannte ihre Stimmen. Da waren sie alle. Ohne ihn. Und taten, als sei nichts
geschehen. Er konnte gar nicht begreifen, wie das jetzt alles ohne ihn
weiterging. Sein Platz war leer. Vielleicht fiel es gar nicht auf. In den
nächsten Tagen würde schon ein anderer dort sitzen. Vielleicht schon morgen.
Und ein paar Wochen noch, dann war er vergessen.
    Da oben waren sie nun alle versammelt,
und hinter dem Katheder hing der Alte Fritz, und an der Decke waren die
Himmelsrichtungen aufgepinselt, und der Schnauz fand alle albern, und Brett
ließ Freiübungen machen, und Bommel lehrte Physik in Volksausgabe —.
    Bellebemm-bellebemm-bellebemm — bemm —
bemm.
    Hans zuckte zusammen.
    Auch durch das alte Gebäude ging ein
Ruck. Es war, als habe jemand mit einem Stock auf einen Bienenkorb geschlagen.
Ein vielhundertstimmiges Summen, Brausen und Brodeln setzte ein. Das alte
Gemäuer schien plötzlich zu bersten von all dem jungen, sprudelnden Leben, das
es barg. Und immer mächtiger schwoll das Brausen und Sausen und ergoß sich ins
Freie, in den Schulhof. Die Zehnuhrpause hatte begonnen.
    Hans stand immer noch wie angewachsen.
Worauf wartete er noch? Bellebemm-belle-bemm klang es in ihm nach. Damals hatte
es damit angefangen. Wie merkwürdig war das alles gewesen. Luck, fahren Sie fort
— Knebel, du tus wieder nix — Pfeiffer, sätzen Sä sech, Sä send albern —
Bellebemm-bellebemm. Jetzt bedeutete es: Abfahren.
    Ja, er ging ja schon.
    Aber nicht zum Bahnhof.
    Sondern zurück in die Stadt.
    Eine halbe Stunde später saß er wieder
in seiner Prima, auf seiner Bank, neben Ernst Husemann, hinter Rudi Knebel, und
übersetzte französische Lektüre und tat, als wenn nichts geschehen wäre.
    Was war denn überhaupt gewesen? Gar
nichts war gewesen. Er hatte nur die beiden ersten Stunden gefehlt. „Wegen
starker Zahnschmerzen“ war ihm von Frau Windscheid bescheinigt.
     
    *
     
    Nun kam das Sommerfest des Ruder- und Schwimmvereins.
    Es war üblich, daß es an diesem Tage
regnete. Das Fest fand wie immer im Saale statt. Und der Saal war wie immer
überfüllt. Es war die einzige gesellschaftliche Veranstaltung des Sommers, an
der teilzunehmen zum guten Tone gehörte. Außerdem fühlte sich jeder modern
denkende Babenberger verpflichtet, auf diese Weise sein Interesse für den Sport
zu dokumentieren.
    Die Luft in dem niedrigen Saale war
entsprechend schwül und schwer. Man hätte sie in Scheiben schneiden können. Die
Herren in ihren dicken schwarzen Anzügen und steif gestärkten Hemdenbrüsten
schwitzten zum Gotterbarmen und gingen von Zeit zu Zeit hinaus, um den
durchweichten Stehkragen

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