Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuerzangenbowle

Die Feuerzangenbowle

Titel: Die Feuerzangenbowle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Spoerl
Vom Netzwerk:
gemeinschaftlichen Physikunterricht ins Auge gefaßt. Er
sagte es nicht rund heraus, aber es wurde so aufgenommen. Und Hans war schlau
genug, nicht zu widersprechen. Als Schriftsteller hätte er es „künstlerische
Retusche“ genannt. Als Gymnasiast mußte ihm dieser Begriff fremd sein. Darum
beschwichtigte er sein Gewissen mit einem Fäßchen Bier, das er der Oberprima
schmiß.
    Und so hub dann ein altgermanisches
Zechen an. Man wollte sich würdig auf den morgigen Tag vorbereiten. Außerdem
kostete es nichts, und es wäre Verschwendung gewesen, sich nicht zu betrinken.
    Hans hatte völlig durchnäßte Schuhe,
und die dicke Lehmkruste hinderte jedes Ausdünsten. Er zog sie kurzerhand aus,
stellte sie zum Trocknen auf und wickelte zwischendurch seine Füße in
Zeitungspapier. Er fühlte eine wohlige Wärme.
    Rudi Knebel bearbeitete die
Drahtkommode.
    Ein Wirtshausklavier hat es nicht gut
im Leben. Diesem hier waren einige Zähne ausgefallen oder ausgeschlagen. Die
meisten Tasten waren braun angelaufen. Auf mehreren fehlte der Belag. Immerhin,
wenn man fest drauf drückte, gab es einen leichten Knall und einen jammernden
Ton wie bei einer Hawai-Gitarre. Möglich auch, daß die Tonhöhe nicht durchaus
der Reihenfolge der Tasten entsprach. Auf jeden Fall konnte man mit dem
Instrument den Lärm der Primaner um ein Erkleckliches überlärmen.
    Und war man mit dem Klavier nicht recht
zufrieden oder empfand man Mitleid mit dem Möbel: dann lupfte man den Deckel
und schüttete einige Glas Bier hinein. Allerdings ohne dadurch die Leistungen
des Instruments merklich zu steigern.
    Da das Klavier keine Tonarten mehr
kannte, so sangen die Primaner in verschiedenen, ihnen persönlich zusagenden
Tonhöhen. Husemann sang Baß, Knebel Heldentenor, Schrenk Bariton und Rosen
Mezzosopran. Melworm flötete wie eine todgeweihte Amsel.
    Es klang durchaus atonal.
    Dazwischen pumpten sie kaltes Bier in
die jungen Mägen, schrien und johlten, tanzten miteinander und schmissen Stühle
um. Und waren sehr, sehr glücklich. Ackermann als Präses benutzte den
väterlichen Spazierstock als Schläger, gebot Silentium, ließ von der
Drahtkommode die erste Strophe Vorspielen, brachte den fidelen Sängern ein
Schmollis über das andere und tröstete den anstandshalber mitzechenden Melworm.
Es wurden Halbe, Viertel und Achtel in die Welt getrunken. Man schrie: „Werde
zu Hause zu rühmen wissen“, man bat „Tempus peto“ und gewährte „habeas“. Man
führte einen studentischen Ramsch herbei und soff einfache und doppelte
Bierjungen, was bekanntermaßen gleich hinter der Todesstrafe rangiert, und nach
erledigtem Bier jungen stürzte man schnellstens hinaus. Man aß auch wohl ein
belegtes Schnittchen und fühlte sich zwischen Elend und Herrlichkeit so
pudelwohl, daß man gar nicht wußte, was es noch Schöneres auf Erden geben
könne. Es war nicht nur die physiologische Wirkung des Alkohols, nicht nur die
vollkommene Neuartigkeit des Genusses, bei dem man gewissermaßen wie bei der
ersten Liebschaft unbekanntes Neuland betrat und staunte und sich groß fühlte.
Es war vor allen Dingen die maßlose Verbotenheit der Sache. Schon der Gedanke
allein, fünf Stunden hintereinander ohne Unterbrechung gegen die Schulordnung
zu verstoßen, genügte vollauf, um eine Raserei des Glücks zu bewirken. Es war
nicht wie beim Bummel, wo man erwartet, daß etwas los ist, aber nichts kommt,
und weil nichts kommt, die Erwartung immer höher steigt und doch nicht erfüllt
wird. Hier schien alles schön und groß und herrlich und originell. Man barst
vor Vergnügen, wenn Hans Pfeiffer einen Salamander ä la Schnauz kommandierte:
„Aber jäder nor einen wenzegen Schlock.“ Man erstickte vor Lachen und prustete
das Bier im Sprühregen wieder von sich, wenn Husemann anfing zu bömmeln: „Wat
ist Bier? Da stelle mer uns janz dumm, un da sage mer so: Bier ist, wo, wat,
wemmer keins hat, mer sich eins bestelle muß.“
    Dann wird Melworm, der große Schweiger,
zu einer Rede verdonnert, und Ackermann beckmessert, wie oft Melworm „öh“ sagt.
Auch der kleine Luck wird nicht verschont. Er muß seine heimlichen Gedichte
deklamieren oder drei Ganze spinnen. Drei Ganze hätte er nicht überlebt; also
stellt er sich in eine Ecke und spricht mit Geisterstimme seine tief empfundenen Kreuzungen
zwischen Hölderlin und Stefan George. Er wurde selbst ganz erschüttert davon.
Die anderen allerdings noch mehr; sie lagen unter den Stühlen und wälzten sich.
Selbst Hans Pfeiffer

Weitere Kostenlose Bücher