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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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können. Nicht wahr?«
    In diesem Augenblick hätte Studer für das Männlein alles getan. Sogar den Ofen angeheizt im Wohnzimmer – den Donner, der nie recht ziehen wollte... Immerhin, wer hätte glauben können, daß der Name der Ulrike Neumann den Pater so erschüttern würde – ein Name, den der Wachtmeister heute früh zum ersten Male gehört hatte... War der Mann Priester geworden, um den Mord an dem jungen Mädchen zu... zu... sühnen, ja: sühnen!... So sagte man wohl...
    Aber der Daumen auf Herrn Rosenzweigs Photographie hatte eine Narbe gehabt... und des Paters Daumen waren glatt...
    Cleman – Koller... Koller – Cleman... Ein Sohn aus erster Ehe? Wie hatte der Wachtmeister in Basel gesagt? »G'späßige Familienverhältnisse!« Ganz richtig! Die Verhältnisse in der Familie Koller – oder hieß sie Cleman, die Familie? – waren mehr als nur g'späßig! Sie waren sonderbar, merkwürdig, verzwickt, unklar...
    Und die Bise pfiff über die Brücke! Es besserte auch kaum, als die beiden in die Thunstraße einbogen. Studer stützte seinen Begleiter. Nicht nur nebeneinander spazierten sie durch die Stadt Bern – nein, Arm in Arm! Aber der Wachtmeister hatte keine Zeit, sich zu genieren vor den Bekannten, die ihn vielleicht sahen.
    Vor seiner Wohnungstür angelangt, schnupperte Studer in der Luft. Es roch nach gebratenen Zwiebeln! Das Hedy war zurückgekehrt!... Der Wachtmeister stellte diese Tatsache mit ungeheurer Befriedigung fest. Nun war alles gut – und sicher war auch der grüne Sternsdonner im Wohnzimmer geheizt!...
    Frau Studer stand schon bereit, als der Wachtmeister die Türe aufstieß. Sie war nicht weiter erstaunt über den Besuch, den ihr Mann da angeschleppt brachte, sondern harrte geduldig einer Erklärung. Ihre Hände lagen, zwanglos gefaltet, auf ihrer weißen, gestärkten Schürze. Als sie aber sah, daß der merkwürdige kleine Mann, der mit einer weißen Kutte angetan war – und unten ragten die nackten Füße hervor – sich fest auf den Wachtmeister stützte, um nicht umzufallen, kam sie eilig herbei und fragte, beruhigend und mütterlich:
    »Ist er krank? Kann ich helfen?«
    Sie wartete eine Bestätigung gar nicht ab, sondern packte den Pater resolut unter den Armen, führte ihn ins Wohnzimmer, legte ihn aufs Ruhebett. Dann waren plötzlich Decken da, ein frischüberzogenes Kissen, eine Wärmflasche und neben dem Ruhebett dampfte auf einem Küchenstuhl eine Tasse Lindenblusttee. Auf dem Boden standen nebeneinander die beiden Sandalen, ihre Riemen waren dünn und abgewetzt, die Sohlen wölbten sich vorne nach aufwärts. Frau Studer hatte die Hände wieder leicht über der Schürze gefaltet und meinte kopfschüttelnd:
    »Wie weit die haben wandern müssen! Gell, Vatti, man sieht's ihnen an!«
    Studer brummte etwas... Er haßte es, wenn seine Frau ihn vor fremden Leuten »Vatti« nannte – übrigens machte sie die Sache sogleich wieder gut, denn sie sagte:
    »Weischt, Köbu, ich hab' dir gestern abend zweimal angeläutet und dann noch einmal heut morgen aufs Amtshaus.« Aber sie habe ihn nirgends verwütschen können...
    Er habe eben viel Arbeit gehabt, sagte Studer und fand endlich Zeit, seine Frau auf die Stirn zu küssen. Diese Stirn war hoch und glatt, faltenlos, ein Scheitel teilte die Haare, sie bildeten im Nacken einen Knoten und waren braun und glänzend, wie frisch aus der Schale gesprungene Kastanien. Niemand, dachte Studer, würde dem Hedy die Großmutter ansehen...
    Die Scheschia, der rote verpfuschte Blumentopf, lag neben dem Kranken. Frau Studer hob sie zerstreut auf, stülpte sie über den Zeigefinger der Rechten und gab ihr mit der Linken kleine Stöße, bis sie zum Kreisen kam. Als sie aufblickte, sah sie auf dem Gesichte des Paters ein schüchternes Lächeln. Da mußte auch Studer lachen.
    »Sehen Sie, Inspektor«, sagte Pater Matthias, »es ist wirklich das einzige Spiel, zu dem eine solche Kappe taugt, und die magere Lady ist ganz zu Unrecht nervös geworden... Verzeihen Sie, Inspektor, verzeihen Sie die Umstände, Madame, ein Fieberanfall, der mich auf offener Straße gepackt hat... Der Klimawechsel, wahrscheinlich – die Kälte...«, und das kleine Gesicht mit den fiebrig glänzenden Augen darin schien diese Version des Vorfalls zu bestätigen.
    »Fieber!« brummte Studer, als seine Frau das Zimmer verlassen hatte. »Fieber ist eine gute Ausrede... Warum löst ein Name...«
    »Bitte, Inspektor, schweigen Sie jetzt!« sagte da Pater Matthias, und er sprach

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