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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Pater um. Studer hörte ein Auto vorbeifahren und – kaum hatte sich das summende Geräusch ein wenig entfernt – einen unterdrückten Ausruf seines Begleiters:
    »Inspektor! Schauen Sie!...«
    Studer drehte den Kopf. Aber er sah nur noch die Rückwand eines Autos und die Nummer, die er mechanisch ablas: BS 3437... Ein Basler Auto...
    »Was ist los?« fragte er.
    »Wenn ich nicht wüßte, daß es unmöglich ist...«, sagte der Pater und rieb sich die Augen.
    »Was ist unmöglich?«
    »Ich glaube, Collani saß in dem Auto zusammen mit meiner Nichte Marie...«
    »Marie?... Marie Cleman?... Chabis!« Studer wurde ärgerlich. Wollte ihn der Schneider Meckmeck zum besten halten? Marie zusammen mit dem Hellseherkorporal? In einem Basler Auto?..
    »Und er trug einen blauen Regenmantel...«, sagte der Pater, mehr für sich.
    Studer schwieg. Was hätte es auch für Wert gehabt, Fragen zu stellen? Es war ihm, als werde er in einen Wirbel hineingezogen: man wußte nicht mehr, was Lüge, was Wahrheit war. Halb unheimlich schien ihm der Mann in der weißen Kutte, und halb lächerlich. Eigentlich hätte man den Pater ins Kreuzverhör nehmen sollen: ›Warum habt Ihr die Tasse mit dem Somnifen-Kaffeesatz ausgespült? Warum seid Ihr in die Schweiz gekommen? Wann habt Ihr Marie in Basel verlassen?‹... Man sollte sich vergewissern, vor allem, ob der Mann wirklich ein Priester war... Mußten katholische Priester nicht jeden Morgen die Messe lesen? Studer erinnerte sich an diese Tatsache, die ihm Marie erzählt hatte...
    »Wann sind Sie eigentlich in Bern angekommen?« fragte Studer. Er hatte die Frage schon einmal gestellt, er stellte sie wieder – und eigentlich hoffte er nicht, eine Antwort zu erhalten... Er behielt recht. Der Pater sagte: »Ich habe mit meiner Nichte zu Nacht gegessen. Dann bin ich gefahren...«
    »Mit dem Zug?«
    »Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich mit einem Taxi gefahren bin.«
    »Und wo sind Sie abgestiegen? Wo haben Sie Ihr Gepäck gelassen?«
    »Im Hotel zum Wilden Mann...«
    »Wo?« Studer schrie es fast. Er war mitten auf dem Trottoir stehengeblieben.
    »Im Wilden Mann...«, sagte Pater Matthias und in seine Augen trat eine ratlose Qual, wie früher schon, eine Qual, die sich nur allzuleicht in Tränen auflösen konnte.
    »Im Wilden Mann!« wiederholte Studer und setzte sich wieder in Gang. »Im Wilden Mann!«
    »Warum wundert Sie das, Inspektor?« fragte der Pater schüchtern. Merkwürdig heiser war seine Stimme. »Man hat mir das Hotel warm empfohlen. Hat es keinen guten Ruf?«
    » Man hat es Ihnen empfohlen? Wer man ?«
    »Ich weiß es nicht mehr... ein Reisender auf dem Schiff, glaub ich...«
    »Sie haben das Hotel früher nicht gekannt?«
    »Früher? Warum früher? Ich bin schon seit mehr als zwanzig Jahren in Marokko...«
    »Zwanzig Jahre? Und vorher?«
    »Früher war ich im Ordenshaus. Es liegt in der Nähe von Oran, in Algerien. Ich bin mit achtzehn Jahren dort eingetreten...«
    »Sie haben nie von einem Mädchen gehört, das Ulrike Neumann hieß? Hä? Und das im Hotel zum Wilden Mann abstieg?«
    Studer hatte gerade noch Zeit, den Pater aufzufangen, – mein Gott, wie mager war das Männlein! – dann stand er da, hielt die spärliche Gestalt in den Armen und blickte in ein Gesicht, das eine grünliche Farbe angenommen hatte, während sich die Haare des Schneiderbartes in des Wortes wahrster Bedeutung sträubten...
    »Sssä, sssä!« sagte Wachtmeister Studer, es waren Lockrufe, die er in seiner Kindheit beim Gustihüten gebraucht hatte. »Ssä ssä!« wiederholte er noch einmal. »Nimm di z'sämme! Bischt chrank?« Und fügte reumütig hinzu, er habe sich dumm benommen und der Pater möge ihm verzeihen, aber er habe nicht gedacht...
    »Schon gut«, sagte der Weiße Vater, und es war günstig, daß er zur Aussprache dieser beiden Worte die Lippen nicht brauchte – denn diese waren starr und weiß.
    Rufe wurden laut: »Isch er chrank?« – »Was git's?« – »Eh, de arm alt Ma...« – »Sicher isch er schier verfrore mit syne blutte Scheiche...« – »Du Lappi, de isch es g'wohnt...«
    Studer wurde böse und forderte die hilfsbereiten Schwätzer auf, sich zum Teufel zu scheren. Er sei Manns genug, mit dem Alten fertig zu werden. Überhaupt wohne er in der Nähe und...
    »Gehen wir weiter«, sagte Pater Matthias laut und deutlich. »Und verzeihen Sie die Umstände, Inspektor. Wenn Sie mich ein wenig stützen, wird es schon gehen. Und bei Ihnen daheim werd' ich mich ein wenig wärmen

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