Die Fieberkurve
geschürft und sind dann erschossen worden, wegen Hochverrat...«
»Stimmt«, sagte Godofrey. »Was Sie aber nicht wissen, ist folgendes: Die beiden wollten Land kaufen und hatten in ihrem Gepäck stets viel Gold- und Silberstücke, denn die Araber dort unten sind mißtrauisch gegen Banknoten. Dann wurden sie verhaftet, erschossen – man durchsuchte ihr Gepäck. Aber von dem Geld war nichts mehr vorhanden.«
Godofrey machte eine Kunstpause und ließ seine Worte wirken.
»Sie hatten kein Konto auf der Banque Algérienne, da vermutete man, sie hätten das Geld irgendwo versteckt. Ein Offizier vom Zweiten Bureau, Sie kennen das Zweite Bureau, es ist unser Nachrichtenbureau, verkleidete sich als Araber und zog los, um sich an den Geologen Cleman heranzumachen, denn dieser Mann hatte mit den Mannesmann gearbeitet und war auch derjenige, der sie verraten hatte. Lyautey war wütend, denn er brauchte Geld für seine Kolonie. Er fand, man habe das Todesurteil zu schnell vollzogen. Warum kein Verhör? brüllte er. Aber es war zu spät. – Zwei Monate brauchte der Offizier vom Zweiten Bureau, dann fand er den Geologen Cleman. Sie wissen, daß er ein Landsmann von Ihnen war, Inspektor? Ja?... Gut. Der Offizier machte sich an den Cleman heran, aber der blieb stumm. Der Geologe war damals in der Gegend von Gurama beschäftigt, er fahndete nach Erdöl und Kohlen. Außerdem waren dort ein paar Bleiöfen in Betrieb, welche die Gebrüder Mannesmann erbaut hatten. Dem Cleman konnte man nichts anhaben. Er hatte einen Schweizer Paß und daneben noch belgische Papiere. Die Belgier waren unsere Verbündeten. Cleman erklärte, er habe sich in der Schweiz angekauft, um ungestört nach Deutschland fahren zu können. Er behauptete, nur in Deutschland gebe es die Maschinen, die er brauche. Da er die beiden Mannesmann entlarvt hatte, glaubte ihm der Offizier alles. Außerdem war Cleman unter den Berbern jener Gegend sehr beliebt... Der Offizier vom Zweiten Bureau kam unverrichteter Dinge zurück.
Cleman blieb noch ein Jahr in Gurama, fuhr dann in die Schweiz, wurde von Lyautey zurückgerufen und wieder nach Gurama geschickt. Er hatte es verstanden, sich beim General beliebt zu machen. Als er krank wurde, ließ ihn Lyautey mit einem Flugzeug nach Fez schaffen. Cleman starb dort, während einer Blatternepidemie, an einem Sumpffieber. Der Sekretär des Cleman, ein gewisser Jacques Koller, siedelte sich in Paris an und gab sich mit Maklergeschäften ab. Als Hilfe – als Sekretärin, wenn Sie wollen – verschrieb er sich die Tochter seines Brotgebers, des verstorbenen Geologen Cleman.
Und nun? Nun scheint die Geschichte, die jahrelang in den Kartons des Kriegsministeriums geschlafen hat, plötzlich wieder aktuell zu werden. Koller, der Sekretär, verschwindet. Clemans zweite Frau findet in Basel einen merkwürdigen Tod. Sie haben dies Madelin erzählt, und er hat es mir wiederholt. Und dann erscheinen Sie, Inspektor, auf einmal in Paris und wollen die Akten Mannesmann sehen... Genügt das nicht, um Mißtrauen zu erwecken? Können Sie es der französischen Regierung verdenken, wenn sie der Meinung ist, Sie, Inspektor, seien gekommen, um den verschwundenen Schatz der Brüder Mannesmann zu suchen? Es waren immerhin 200 000 Franken in Vorkriegswährung... Alles in Silber- und Goldstücken! Vielleicht hat der Cleman das Geld vergraben? Nun meint man natürlich, daß Sie sich als Schatzgräber betätigen wollen und das will man vereiteln. Hat man nicht recht?«
Studer hielt den Kopf gesenkt. Er saß auf einem Tisch, zwischen Eprouvetten, Reagenzgläsern, Bunsenbrennern und Glasflaschen. Von einem Dachfenster sickerte spärliches Licht auf seinen Rücken. Godofrey ging auf und ab, mit kleinen steifen Schritten, und als er jetzt anhielt und, die Hände auf dem Rücken, Studer anglotzte, sah er aus wie der Vogel der Weisheit...
»Meine Frau läßt Ihnen herzlich für die Gansleber danken«, sagte Studer, scheinbar zusammenhanglos. Das schien den Kleinen zu freuen, denn er spitzte den Mund und pfiff – ganz leise. Mit steifem Eulenschritt trat er näher, beugte sich zu Studers Ohr und flüsterte:
»Legen Sie Madame meine Verehrung zu Füßen«, er grinste, »aber ich, Godofrey, werde Ihnen helfen. Wir beide werden dem ›Patron‹ einen Streich spielen und ich weiß, daß er ihn nicht übel nehmen wird. Denn eigentlich ist er gar nicht böse auf Sie, sondern er flucht über das Kriegsministerium. Sie müssen verschwinden, Inspektor, denn wenn Sie
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