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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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Kriminalisten nicht einmal fälschen könnten«, sage Godofrey bescheiden, »dann wäre es besser, man bände uns ein Aktenfaszikel um den Hals. Aber es ist ja für eine gute Sache, Herr Inspektor Fouché!«
    »Ich danke Ihnen, Godofrey! Mehr kann ich nicht sagen. Aber wenn Sie einmal Hilfe brauchen sollten – Sie wissen, wo ich daheim bin.«
    »Gut, gut, Inspektor; das ist alles nicht der Rede wert«, sagte der Kleine. »Man hilft sich, nicht wahr...«
    Studer nahm das offen dargereichte Büchlein, blätterte darin und fand ganz vorne eine Paßphotographie. Der Mann, den dieses Bild darstellte, war breitschultrig, es war ein Brustbild, sein Gesicht mager, und eine spitze, schmale Nase sprang daraus hervor. Der Mund? Studer hatte seineu eigenen Mund nie mehr gesehen, seit er einen Schnauz trug.
    »Und Sie glauben, daß mir der Mann gleicht?« fragte Studer.
    »Wie ein Zwillingsbruder!... Nur müssen Sie sich den Schnurrbart abrasieren, einen steifen Hut aufsetzen – dann können Sie beruhigt reisen.« Studer wollte den Paß in seiner Busentasche versorgen, da – wie schon einmal – machte sich die Fieberkurve durch Rascheln bemerkbar.
    »Hier Godofrey«, Studer hielt dem Kleinen das Dokument hin. »Können Sie das entziffern?«
    Godofrey stürzte sich auf das Blatt, schob die Hornbrille in die Stirn, und da kamen zum Vorschein ein Paar wässrige, blinzelnde Äuglein. Ihnen näherte er das Blatt etwa auf Handbreite, drehte es hin und her und hielt es endlich so, daß die Achse der Fieberkurve senkrecht stand. Ausrufe platzten über seine Lippen:
    »Kindisch... Kindisch einfach!... Stümperarbeit!... Freimaurerschrift... Das kann man vom Blatt lesen...«
    Er flatterte zum Tisch, setzte sich und begann:
»EMOQHZ...«
    »Genug, Godofrey, genug!« rief Studer, der ängstlich wurde. Man konnte sicherlich Vertrauen zu dem Zwerge haben, aber immerhin... er war Franzose...
    Godofrey jedoch ließ sich nicht stören, sondern diktierte sich die Buchstabenreihe laut in die Feder. Dann machte er eine Pause.
    »Umgekehrtes Alphabet«, sagte er langsam. »Wahrscheinlich Deutsch. Ich will nicht in Ihre kleinen Geheimnisse eindringen. Aber haben Sie es selbst entziffern können?«
    »Nein«, sagte Studer und wurde verlegen. »Meine Frau hat die Lösung gefunden.«
    »Ah, Madame Stüdère... Wundert mich nicht. Ein Mann wie Sie, Inspektor, hat überall Glück. Unverdientes Glück. Ein Mann wie Sie muß unbedingt auch eine kluge, eine gescheite Frau haben. Das geht klar hervor aus Ihrem ganzen Aussehen. Madame Stüdère...«, wiederholte Godofrey. »Wird es mir einmal vergönnt sein, ihr meine Bewunderung zu Füßen zu legen?«
    »Ich glaube«, sagte Studer trocken, »daß meine Frau eine Gansleberpastete mehr schätzt als Bewunderung.«
    »Sie sind ein Materialist, Inspektor Fouché.« Das Männlein ging auf den Spaß ein. »Aber ich werde mich an die Pastete erinnern. Und nun – viel Glück. Seien Sie vorsichtig. Hier haben Sie noch eine Erkennungsmarke der französischen Polizei...«

Studer in der Fremdenlegion
    Godofrey hatte nicht gelogen. Der Brigadier Beugnot, der den Auftrag erhalten hatte, den Berner Wachtmeister zu beaufsichtigen, war nicht der Schlaueste – oder, und das konnte auch als Erklärung für sein Verhalten gelten, er hielt die Schweizer im allgemeinen für dumm und den Inspektor Studer im besonderen für harmlos.
    Vor dem Tor des Justizpalastes wartete dieser Brigadier Beugnot, kam mit in die Untergrundbahn und stieg aus an der Station Pigalle; er betrat mit Studer das Hotel und blieb hinter dem Wachtmeister stehen, während dieser seine Rechnung bezahlte. Der Brigadier folgte seinem Schützling auch auf den Ostbahnhof – dies kostete die französische Regierung eine Taxifahrt – und wartete dann auf dem Bahnsteig, bis der Basler Zug aus der Halle fuhr. Studer war guter Laune. Er winkte mit seinem breitrandigen Filzhut aus dem Fenster und mußte lachen, weil der Brigadier Beugnot, dem dieses Winken galt, automatisch das Winken erwiderte. Der französische Polizeibeamte schnitt dazu ein Gesicht, welches durch das Erstaunen, das es ausdrückte, dümmer schien, als es eigentlich vom Reglement vorgesehen war.
    Es galt, vorsichtig zu sein, dachte Studer auf seinem Fensterplatz, während die aussätzigen Häuser der Vororte am Zug vorbeihumpelten. Vorsichtig! – Wie anders war er vor einer Woche gereist! Da saß ihm gegenüber ein Mädchen: graue Wildlederschuhe, seidene Strümpfe, Pelzjackett... Der

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