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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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nach Marokko fahren, wird man Sie unter irgendeinem Vorwand in Marseille verhaften und als unerwünschten Ausländer ausweisen. Das kann lange dauern, die Ausweisung nämlich, und während des Wartens können Sie gut und gerne verfaulen – in einem feuchten Verlies... Nein, wir machen das anders. Es wird Ihnen doch möglich sein, Ihren Schatten abzuschütteln?«
    Godofrey blickte den Wachtmeister treuherzig an und verstand gar nicht, warum sein Freund bei dem Worte »Schatten« zusammengezuckt war. Die Schatten! Der Fall mit den Schatten!... Unwillig schüttelte Studer den Kopf. Godofrey fuhr fort:
    »Der Brigadier Beugnot, der angewiesen ist, Ihnen auf Schritt und Tritt zu folgen, ist nicht der Gescheiteste...«, und schwieg dann, während er seine Wanderung wieder aufnahm.
    Ganz zusammengekrümmt saß Studer da und betrachtete mit Interesse seine baumelnden Füße. Konnte man diesem Godofrey, den man nicht weiter kannte, wirklich Vertrauen schenken? Vielleicht... Man war schließlich nicht vergebens neunundfünfzig Jahre alt geworden, man hatte ein wenig Menschenkenntnis erworben. Der Typus, zu dem Godofrey gehörte, war einem nicht fremd. Sicher war das Männlein Kriminologe geworden, um der Langeweile zu entgehen. Godofrey brauchte Betrieb. Er gehörte zu jenen Leuten, die am liebsten beten würden: »Unser täglich Problem gib uns heute...« Man fand diesen Typus nicht nur unter Polizeiorganen, auch unter Philosophen, Psychologen, Ärzten, Juristen war er vertreten... Kein unsympathischer Typus! Ein wenig ermüdend vielleicht, wenn man ständig mit ihm zu tun hatte. Studer beschloß: Man kann es probieren. Seine Stimme war sanft, streichelnd, als er sagte:
    »Und wie wollen Sie mir helfen, mein lieber Godofrey?«
    Wahrhaftig, dem Männlein traten Tränlein in die Augen.
    Sicher ist der arme Kerl ganz allein, dachte Studer, und niemand ist freundlich zu ihm, sein ›Patron‹ singt ihn nur an oder kommandiert.
    »Ich habe hier«, sagte Godofrey mit einer komisch zitternden Stimme, »den Paß eines Freundes. Er sah Ihnen ähnlich, Monsieur Stüdère. Er hat mit mir in Lyon gearbeitet, aber vor einem Jahr ist er bei einer Rafle erschossen worden. Er war Inspektor an der dortigen Sicherheitspolizei. Ich gebe Ihnen seinen Paß. Nur den Schnurrbart müssen Sie sich abrasieren lassen. Dann kaufen Sie sich einen dunklen Mantel mit Sammetkragen, auch einen steifen Kragen müssen Sie anlegen und nicht vergessen, daß Sie von nun an wie der Polizeiminister des Kaisers heißen...«
    »Des Kaisers?«
    »Sicher meinte ich nicht Wilhelm II.«, sagte Godofrey tadelnd. »Es gibt nur einen Kaiser, den kleinen Korporal, Napoleon I.! Sein Minister hieß... – Sie werden doch nicht behaupten wollen, daß Ihnen der Name dieses genialen Menschen unbekannt ist?«
    Nun hatte Studer im Gymnasium gerade immer in den Geschichtsstunden geschlafen. Er zuckte darum mit den Achseln und blickte Godofrey fragend an.
    »Seine Exzellenz Joseph Fouché von Nantes, Herzog von Otranto...«
    »Was? Herzog bin ich auch?« meinte Studer entsetzt.
    »Sie wollen den armen Godofrey lächerlich machen, Inspektor! Sie heißen von nun an: Joseph Fouché, Inspecteur de la Sûreté. Wir werden übrigens den Paß noch vervollständigen...«, sagte Godofrey, ging zu einem Wandschrank, entnahm ihm ein Büchelchen, das ziemlich verschmiert aussah und begann, in der babylonischen Unordnung seines Schreibtisches nach einem bestimmten Objekt zu fahnden. Er fand es endlich und es war ein Fläschlein grüner Tinte. Mit dieser Tinte malte er heilige bureaukratische Zeichen auf das vorletzte Blatt des Büchleins. Dann holte er aus dem gleichen Wandschrank einen glattpolierten Stein, fettete ihn ein, drückte ihn auf ein bereitgehaltenes Dokument, zog den Stein vorsichtig ab und preßte den so gewonnenen Stempel ebenfalls auf die vorletzte Seite des Passes. Hierauf trat wieder die grüne Tinte in Aktion, Godofreys Hand mitsamt der Feder beschrieb elegante Kreise in der Luft, bevor sie, einem Habicht gleich, der ein Hühnlein erblickt hat, herab aufs Papier schoß. Dann schwenkte der kleine Mann den präparierten Paß in der Luft, blies auf die noch feuchte Tinte und endlich... endlich... hielt er dem Wachtmeister den Beweis seiner Fertigkeit vor die Nase:
    »Reist in besonderem Auftrag des Kriegsministers«, stand da. Die Unterschrift war unleserlich, wie es sich gehörte, und ein Stempel krönte das Kunstwerk.
    »Großartig! Wunderbar!« sagte Studer.
    »Wenn wir

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