Die fiese Meerjungfrau
ein Knie in die Rippen rammte, dem sie einen Ellbogen an den Hals folgen ließ. Sie stampfte mit dem Absatz auf und brach dem Gegner das Fußgewölbe. Sie wirbelte herum und schleuderte den kaputten Speer so fest auf den Boden, dass die Spitze sich in die Planken bohrte.
»Falls du vorhast, das Schiff anzugreifen, würde es dir etwas ausmachen, damit zu warten, bis es uns zu Hause abgesetzt hat?«, fragte Schnee. »Oder hat der Boden dich irgendwie beleidigt?«
Der Speer steckte immer noch zitternd im Deck. Talia packte den Schaft und trat unten dagegen, sodass die Spitze abbrach.
»Recht so, gib dem Speer die Schuld!«
So sehr sie Schnee auch mochte, es gab Momente, da hätte Talia sie am liebsten durch die Wand geworfen. »Hast du nichts zu tun? Dich um Beatrice kümmern oder mit deinen Spiegeln sprechen? Wir wissen nicht mal, was dieses Messer mit ihr angestellt hat!«
»Ich habe getan, was ich konnte. Ich muss zu meinem Spiegel im Palast.« Schnee wickelte sich die Haare um den Finger und zog sie fest, bis die Fingerspitze sich rot färbte. »Meine Mutter hätte es vielleicht gewusst. Sie hat ihr Leben lang Geheimnisse in ihrer Bibliothek gesammelt. Ein paar dieser Bücher habe ich aufgehoben, aber die meisten ... Ihre Schutzvorkehrungen waren stärker, als ich erwartet hatte. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie viel Wissen an jenem Tag verbrannt ist!«
Mit einem Seufzer kniete Talia sich hin, packte die abgebrochene Speerspitze und wackelte so lange daran, bis sie sich aus dem Holz löste. Sie steckte einen Finger durch das Loch im Teppich. »Ich werde es flicken, wenn wir zurückkommen«, sagte sie, bevor Schnee eine Bemerkung machen konnte.
»Ich habe dich nicht mehr so angespannt erlebt, seit wir in Lord Pensieves Palast in Colwich eingebrochen sind«, stellte Schnee fest.
Wieder hielt Talia sich zurück, um Schnee nicht anzufahren. Wie konnte sie nur einfach so dasitzen? Talia konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich zum letzten Mal so machtlos gefühlt hatte. Nicht einmal Colwich war so schlimm gewesen, auch wenn sich in den Sümpfen zu verstecken, bis Lord Pensieves Leute die Suche aufgaben, eine Erfahrung gewesen war, auf die sie gut hätte verzichten können.
»Es hat dich noch tagelang danach überall gejuckt«, erinnerte sich Schnee.
»Lorindar hat bei Weitem zu viele Insekten.«
»Vergiss die Schlange nicht!«
Talias Mund zuckte. »Ich war nicht diejenige, die gekreischt hat.«
»Nein, du warst diejenige, die einen lauten Schlachtruf ausgestoßen und eine ein Fuß lange Schlange mit einer doppelköpfigen Streitaxt attackiert hat.«
»Es war alles, was ich hatte«, erwiderte Talia schulterzuckend. »Außerdem hätte sie genauso gut giftig sein können.«
Schritte näherten sich der Kajütentür.
»Prinz Armand«, sagte Schnee ohne aufzusehen.
Die Tür öffnete sich, und der Prinz trat ein. Seine Miene war frostig. »Der Wind ist gegen uns, aber mir ist gesagt worden, dass wir bis Morgengrauen den Palast erreicht haben müssten. Die Saint Tocohl wird uns nach Hause eskortieren, während die Lord Lynn Margaret zurückbleibt, um Lirea und ihre Undinen zu jagen. Falls ... falls meine Mutter dann noch lebt, wird sie der Obhut der erfahrensten Heiler meines Vaters übergeben.«
Er hielt seine Gefühle fest an der Kandare; in dieser Hinsicht erinnerte er Talia an seinen Vater. Zu Schnee sagte er: »Danke, dass du ihr das Leben gerettet hast.«
Schnee neigte leicht den Kopf.
»Was wisst ihr beide über Lirea?«
Talia blickte verständnislos drein. »Euer Hoheit?«
»Ich weiß, dass ihr meiner Mutter viele Jahre lang gedient habt«, führte er aus. »Als ich von Danielles Stiefschwestern entführt wurde, haben du und Schnee geholfen, mich zu retten.«
»Wir hatten Unterstützung von Botschafter Trittibar«, schaltete Schnee sich ein. »Ebenso von einem Freund in Elfstadt.«
Armand hob die Hand, und Schnee verstummte. Talia kämpfte eine plötzliche Anwandlung von Wut nieder: Wer war er, Schnee mit einer Geste Schweigen zu befehlen? Aber er war als Prinz aufgewachsen, war dazu erzogen worden, diejenigen um sich herum zu kommandieren, und er konnte ja nicht wissen, wem er da so gleichgültig den Mund verbot. Die meisten Leute kannten die Geschichte von Schneewittchen, aber der Gedanke, sie könnte hier in Lorindar leben, war ein zu großer Sprung. Bestenfalls nahmen die Leute an, Schnees Spitzname rühre von ihrer Ähnlichkeit mit dieser fernen Prinzessin her.
»Nicht einmal
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