Die fiese Meerjungfrau
pflanzt sich über Wasser so sonderbar fort. So viele Stimmen. Und keine Möglichkeit, tieferes Wasser aufzusuchen, um dem Wind zu entkommen.« Lannadae ließ sich tiefer ins Boot sinken. »Du musst mich für einen Feigling halten.«
»Du bist jung«, erwiderte Talia.
»Bist du schon lange mit Aschenputtel und Schneewittchen befreundet?«
»Mit Danielle ungefähr seit einem Jahr«, sagte Talia. »Schnee ... Wir kennen uns schon länger.« Sie warf einen Blick auf die Kajüte und fragte sich, was die beiden wohl gerade machten. Danielle hatte sich vermutlich mit einem Eimer in ihre Koje gekauert - auch Schnees Tee waren Grenzen gesetzt. Von Schnee andererseits wusste man, dass sie alles verschlafen konnte, doch das Schlingern des Schiffs mochte reichen, um sogar ihr den Schlaf zu rauben. Dennoch traute Talia es ihr ohne Weiteres zu, dass sie sich einfach ans Bett gefesselt hatte und sich vergnügt durch die Nacht träumte - vorausgesetzt, sie hatte nicht jemand anders gefunden, der das Fesseln übernommen hatte.
Lannadae legte das Kinn auf den Bootsrand. »Schnee hat mir erzählt, dass die Frauen in eurer Stadt ihre Schuhe mit Glasperlen verzieren, damit sie wie Aschenputtels Glaspantoffel aussehen.«
»Manche tun das.« Wider Willen musste Talia lächeln, als sie sich daran erinnerte, wie Danielle zum ersten Mal von dieser Mode erfahren hatte. Als Schnee Danielles Empörung gesehen hatte, war sie natürlich sofort in die Stadt geeilt, um sich auch ein Paar zu kaufen. »Ein paar der wohlhabenderen Familien versuchten sogar, Ratten und Tauben zu fangen und als Haustiere zu halten, aber diese Modeerscheinung war schnell wieder vorbei.«
»Ich arbeite an einer neuen Geschichte darüber, wie Aschenputtel die Haie herbeigerufen hat, um uns zu beschützen.« Die Schnur, die Lannadae für ihre Geschichte in der Höhle benutzt hatte, war jetzt wie ein Armband um ihr Handgelenk gewunden. Sie fing an, sie abzunehmen. »Möchtest du sie hören?«
»Nein!« Es kam schroffer heraus, als Talia beabsichtigt hatte, und Lannadae schreckte zurück. »Vielleicht ein andermal.«
Lannadae zog sich auf die vorderste Bank im Boot hoch. »Hast du Schwestern, Talia?«
Talia ballte die Fäuste. »Ich hatte eine. Eine Schwester und drei Brüder.«
»Wo sind sie heute?«
»Tot.« Sie massierte sich den Hals und versuchte, etwas von der Spannung in ihren Muskeln abzubauen. »Hör zu, ich weiß, dass du dich fürchtest. Ich bin nur nicht besonders gut darin, Leuten Mut zuzusprechen.«
»Wieso bist du so sauer auf Schneewittchen?«
Da war die Anspannung wieder. »Ich bin nicht sauer.«
»Jedes Mal, wenn ich sie erwähne, presst du die Lippen zusammen. Ich dachte, das sei eine der Sachen, die Menschen machen, wenn sie wütend sind.« Sie lächelte. »Ja, genau so!«
»Geh schlafen!«
»Ich kann nicht, schon vergessen?«, sagte Lannadae. »Der Wind ist zu -«
»Der Wind fängt an, sich zu legen.«
Lannadae zog sich höher und sah auf die Regenwände hinaus, die das Schiff peitschten. »Aber -«
»Geh schlafen.«
Talia hatte nicht gelogen. Der Sturm wurde tatsächlich endlich schwächer. Talia warf ihre Rettungsleine im selben Moment ab, als auch Hephyra es tat, denn sie dachte sich, wenn es sicher genug für die Dryade war, dann galt dies auch für sie. Bald hatte der Wind so weit nachgelassen, dass sie das Schiff vollständig erkunden konnte. Von oben auf den Masten aus konnte sie viel mehr sehen.
Der Morgen fand sie auf dem Fußpferd unter der obersten Fockmastrah. Mit einer Hand an der Rah hielt sie das Gleichgewicht, während sie eine einfache Kampfform durchging und dabei die Taue erprobte. Je besser sie die Phillipa kannte, desto schneller konnte sie dort sein, wo sie gebraucht wurde, falls die Undinen wieder angriffen.
Hephyra hatte die Taue auswechseln lassen, seit Talia das letzte Mal auf dem Schiff der Königin gewesen war. Die neuen Taue waren etwas dünner, als sie es gewohnt war. Die Masten hingegen kamen ihr dicker vor, was aber zu erwarten gewesen war: Wie Bäume bekamen auch sie jedes Jahr einen neuen Wachstumsring dazu.
Sie wirbelte auf einem Fuß herum und griff mit den Händen um, während sie mit dem anderen Fuß einem imaginären Gegner die Beine unterm Leib wegsichelte.
»Du bewegst dich, als wärest du auf diesem Schiff zur Welt gekommen.« Kapitän Hephyra stand auf der obersten Rah und beobachtete mit verschränkten Armen, wie Talia ihre Kata beendete. »Aber du lenkst die Mannschaft ab.«
»Ich lenke
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