Die fiese Meerjungfrau
»Durch den Sturm haben wir Zeit verloren, aber jetzt, da wir unter vollen Segeln fahren, könnten wir es bis zum Ende des Tages schaffen. Falls der Wind nicht umschlägt, haben wir dich vielleicht bis Ende der Woche schon wieder heim zu deinem Prinzen gebracht.« Ihre Miene erhellte sich. »Dabei fällt mir ein, ich habe ein Geschenk für dich. Ich wollte es eigentlich fertig haben, bevor wir abgereist sind, aber es war alles so hektisch. Ich habe es nach dem Mittagessen fertig gemacht.«
Sie schob den Ärmel hoch und zog ein Armband hervor: drei dicke, miteinander verflochtene Kupferstränge, die in ihrer Mitte einen kleinen, kreisrunden Spiegel festhielten. Schnee nahm Danielles Arm und schob ihr das Armband übers Handgelenk.
»Na los!«, forderte Schnee sie auf.
Danielle blickte in den Spiegel. Alles, was sie sah, war die grünliche Blässe ihres Gesichts und das windzerzauste Chaos, das ihr Haar darstellte.
»Gib ihm einen Kuss!«
Achselzuckend berührte Danielle mit den Lippen den Spiegel. Ein vertrautes Kichern brachte sie zum Lächeln; das Glas trübte sich, dann blickte sie ihren eigenen Sohn an. Sie konnte Nicolettes Stimme hören, wie sie ihn zu überreden versuchte, einen Keks zu essen. Aber Jakob schien viel mehr daran interessiert, sich das schon aufgeweichte Gebäck in die Haare zu schmieren.
»Jakob?«
Er fuhr zusammen und schaute um sich. »Mama?«
»Er sollte dich eigentlich nicht hören können.« Schnee zerrte an Danielles Arm und verrenkte ihr fast die Schulter, um den Spiegel genau betrachten zu können. »Ich habe das Glas so verzaubert, dass es über die Spiegel im Palast funktioniert. Das da ist der Wandleuchter links vom Eingang zum Kinderzimmer. Die Magie in diesen Spiegeln sollte eigentlich nur in eine Richtung fließen.«
Sie grinste und fügte hinzu: »Einen solchen Spiegel habe ich auch für Armand dagelassen, damit ihr beide euch unterhalten könnt. Ich hab ihm gesagt, es sei ein Glückshalsband. Diesen Spiegel musst du allerdings ein bisschen anders küssen, damit der Zauber funktioniert.«
Danielle entwand sich Schnees Griff und betrachtete ihren Sohn. »O nein! Er hat sich schon wieder Armands Schuh geschnappt!«
Seit Neuestem war Jakob ganz vernarrt in einen von Armands Schuhen, ein ausgefallenes Ding aus glänzendem Leder mit Samtbesatz, und aus irgendeinem Grund musste es immer der linke Schuh sein. Hätte er gekonnt, er hätte den ganzen Tag darauf herumgekaut. Unglücklicherweise bewirkte der Farbstoff im Samt immer, dass sein Mund und Kinn tagelang blauviolett gefärbt waren.
»Was hat deine Familie bloß mit Schuhen?«, fragte Talia, die gerade herüberkam, um sich zu ihnen zu gesellen. »Zuerst rennt Armand mit diesem Pantoffel im halben Königreich herum, und jetzt beschließt dein Sohn, dass er die Dinger gerne isst!«
»Mich interessiert immer noch, wie er dich hören konnte.« Schnee beugte sich über Danielles Handgelenk. »Jakob? Hier ist Schnee. Winke, wenn du mich hören kannst.«
Jakob war zu sehr von dem Versuch in Anspruch genommen, ein Stück Keks in sein rechtes Nasenloch zu zwängen.
»Ich danke dir hierfür, Schnee.« Danielle berührte den Rand des Spiegels, und Sehnsucht erfüllte ihr Herz. Eigentlich war sie es, die bei Jakob sein sollte, die mit ihm lachen und versuchen sollte, ihn dazu zu bringen, seinen Keks zu essen. Wie oft würde die Pflicht sie noch von ihrem Sohn wegführen? »Können wir ihn auch benutzen, um zu sehen, wie es Beatrice geht?«
Schnees Lächeln verflüchtigte sich. »Nicht solange Vater Isaacs Abwehrzauber sie beschützen.«
Danielle kratzte sich an der Nase; die Haut reagierte bereits empfindlich auf die Berührung. Talias braune Haut verlieh ihr etwas Schutz vor der Sonne, aber sie selbst würde sich bald einen Hut suchen müssen. »Sind schon Undinen gesichtet worden?«
»Bis jetzt noch nicht.« Talia lehnte sich über die Reling. »Aber sie könnten direkt hinter uns sein, und wir würden es nicht merken, bis sie sich aus freiem Willen zeigen.«
»Da fühle ich mich doch gleich besser!« Danielle sah zu, wie Jakobs Bild im Spiegel verblasste. »Was machen wir, wenn sie einfach nur warten, bis die Haie verschwunden sind?«
Schnee tätschelte die Reling. »Dann finden wir heraus, wie widerstandsfähig die Phillipa wirklich ist.«
*
Das Wetter hielt für den Rest des Tages und ermöglichte es der Phillipa, die Reise unter vollen Segeln fortzusetzen. Danielle fand schließlich einen Moment für sich alleine, um
Weitere Kostenlose Bücher