Die fiese Meerjungfrau
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»Lirea, nein!« Die anderen Undinen zogen sich zurück und überließen es Nilliar, Lirea die Stirn zu bieten. »Bitte, meine Königin! Dein Volk braucht dich!«
Lirea hätte das Recht auf ihrer Seite gehabt, wenn sie Nilliar angesichts einer derartig trotzigen Haltung getötet hätte. Wenn Lirea es wünschte, könnte sie Nilliar für diese Anmaßung einen Speer ins Herz rammen, und Nilliar wusste das. »Lannadae führt sie zu Morveren.«
Nilliar ließ sich tiefer sinken. »Ich habe schon Haie gejagt, meine Königin. Wenn du uns befiehlst anzugreifen, werden wir gehorchen, und wir werden sterben. Du wirst sterben, und Lannadae wird gewinnen.«
Wir bringen euch tot um!, höhnten die Haie. Tot wie was richtig Totes!
Niemand hatte je behauptet, dass Haie kreativ seien. Aber ihre Stimmen waren wenig mehr als ein Wispern neben der Raserei ihres Messers. Du hast sie entkommen lassen, weil du zu schwach und zu langsam warst! Lannadae ist dort! Sie wird Morveren befreien!
»Nilliar ...« Lirea sah zu, wie das Schiff immer kleiner wurde. Sie senkte den Kopf. Nilliar hatte recht. »Schicke einen Sänger aus, der Kapitän Varisto finden soll. Befiehl ihm, das Menschenschiff zu zerstören!«
Das Messer schrie seine Wut heraus, bis ihre Augen sich vor Schmerz mit Tränen füllten.
»Wo werden wir ihn finden?«, fragte Nilliar.
»Schwimmt nach Norden.« Lirea legte sich zurück und lauschte dem Wind. »Schwimmt, bis das Meer rot wird. Er wird dort sein.«
Es gereichte Nilliar zur Ehre, dass sie keine weiteren Fragen stellte. Sie kannte die Stelle, die Lirea beschrieben hatte, ebenso wie die übrigen Undinen. Auf ein Zeichen von ihr entledigte sich einer ihrer Krieger seiner Gurte und Waffen, tauchte unter und suchte nach den tieferen Strömungen, die seine Reise beschleunigen würden.
»Bis er Varistos Schiff erreicht, könnte es zu spät sein, um die Menschen noch abzufangen«, gab Nilliar zu bedenken.
Wieder lärmten die Haie und fügten ihre Stimmen denen Nilliars und des Messers hinzu. Tot!
»Ach, haltet doch die Klappe!«
Nur Nilliar und die Haie gehorchten.
*
Ungeachtet Talias Befürchtungen verstrich der Tag ohne Zwischenfälle. Sie hatte sich noch nicht entschieden, was wahrscheinlicher war, dass die Undinen das Schiff angriffen oder dass ein Mitglied der Mannschaft seine Ängste an Lannadae ausließ. Aber was erstere Möglichkeit anging, so waren entweder die Undinen wegen eines einzelnen kleinen Schiffes nicht beunruhigt, oder Danielles Haie hatten ihre Arbeit getan. Eines der jüngeren Besatzungsmitglieder, kaum dem Knabenalter entwachsen, war damit beauftragt worden, ab und zu eine Hand voll Abfälle ins Wasser zu kippen. Bei diesen Gelegenheiten konnte Talia die dunklen Umrisse der Haie sehen, die an die Oberfläche kamen, um zu fressen.
Was die Mannschaft betraf, so war nicht einer, egal wie seine Gefühle Lannadae gegenüber sein mochten, seinem Kapitän ungehorsam. Einige Male sah Talia einen Matrosen stehen bleiben und die Meerjungfrau anglotzen, doch schnell wurde er von seinen Kameraden wieder weggezogen, für gewöhnlich nicht ohne harsche Worte der Ermahnung.
Die meisten Besatzungsmitglieder trugen Rettungsleinen wegen des Sturms; lange Taue, die sie mit dem Schiff verbanden. Widerstrebend hatte Talia Kapitän Hephyra erlaubt, eins der Taue auch um ihre Taille zu schlingen. Bis auf Fock und Großbram waren die Segel alle eingerollt; jedes weitere Stück Stoff hätte bei einem solchen Wetter die Gefahr eines Mastbruchs heraufbeschworen. Das Ruder hatte Hephyra persönlich übernommen und hielt das Steuerrad gleichbleibend am Wind. Die Dryade zeigte keinerlei Zeichen der Anstrengung, aber als sie früher am Tag das Ruder einmal verlassen hatte, hatte es zweier Männer bedurft, um nicht die Herrschaft darüber zu verlieren.
Sobald die Nacht anbrach, verschärfte Talia ihre Wachsamkeit, ging an der Reling auf und ab und ließ ihre Blicke auf der Suche nach Anzeichen für Bewegung übers Wasser schweifen. Als sie an den Booten vorbeikam, schaute Lannadae aus ihrem heraus und winkte sie zu sich. Das Dingi lag in einem größeren Beiboot; beide ruhten auf Klampen und waren mit doppelten Tauen gesichert.
»Was ist?« Eine Abdeckplane aus Segeltuch lag über dem hinteren Teil der Boote, doch im Boden des Dingis stand knöcheltief das Regenwasser.
»Ich kann nicht schlafen!«, sagte Lannadae.
Talia gestattete sich ein leises Lächeln. »Ich auch nicht.«
»Es ist zu trocken, und der Schall
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