Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
bist.«
»Und was ist, wenn ich beschnitten wäre?«
Auf dieses Thema kam er immer wieder zurück.
»Wie oft muss ich das noch sagen?«, erwiderte Hephzibah. »Mir ist das wurst.«
»Das?«
»Völlig wurst.«
»Na ja, wurst ist mir das nicht gerade, Hep.«
Er bot ihr an, mit jemandem zu reden. Es sei nie zu spät. Sie wollte nichts davon hören. »Das wäre barbarisch«, sagte sie.
»Und wenn wir einen Sohn hätten?«
»Wir haben nicht vor, einen Sohn zu bekommen.«
»Aber wenn?«
»Das wäre was anderes.«
»Aha, was gut für ihn wäre, ist nicht gut für mich. Und schon gibt es widersprüchliche Kriterien für Männlichkeit in diesem Haus.«
»Was hat denn Männlichkeit damit zu tun?«
»Das ist genau meine Frage.«
»Tja, dann hol dir eine Antwort bei jemandem, der dafür besser qualifiziert ist als ich. Lies Moses Maimonides.«
Er fürchtete, sich auf Maimonides einzulassen und plötzlich wieder gegen die weiße Wand der Verständnislosigkeit zu prallen, die ihn in jedem philosophischen Werk, das er je zu lesen versucht hatte, stets an etwa der gleichen Stelle erwartete, fast auf der gleichen Seite. Es war so erhebend, sich in der lichten Klarheit der einführenden Überlegungen eines Denkers zu sonnen, doch so entmutigend, wenn das Licht verblasste, das Wasser brackig wurde und er inmitten von Schlingpflanzen und Mangroven ertrank. Bei Maimonides aber sollte das nicht geschehen. Bei Maimonides ertrank er schon am Ende des ersten Satzes.
»Manch einer ist der Ansicht«, begann Maimonides, »dass mit dem hebräischen Wort zelem Form und Gestalt eines Dinges gemeint ist, und diese Auslegung verführte die Menschen dazu, an die Körperlichkeit (des göttlichen Wesens) zu glauben, dachten sie doch, die Worte: ›Lasst uns Menschen machen, ein zelem , das uns gleich sei‹ (Moses 1:26) besagten, Gott gliche äußerlich einem menschlichen Wesen, das heißt, er habe Form und Gestalt, weshalb er folglich körperlich sei.«
Mit diesen subtilen Unterscheidungen hinsichtlich der äußeren Erscheinung des Göttlichen wäre Treslove vielleicht noch zurechtgekommen, doch musste er sich erst einmal vergewissern, was genau das Wort zelem eigentlich meinte, und schon befand er sich mitten unter den Mystikern und Träumern. Also schön, im buchstäblichen Sinne bedeutete das Wort genau das, was Maimonides sagte, nämlich Bild oder Abbild, doch klang es in Tresloves Ohren seltsam beunruhigend, fast wie eine magische Beschwörung, und als er herauszufinden versuchte, mit wessen Ansicht Maimonides sich anlegte – denn man musste schon das wahre Ausmaß der eigenen Unschlüssigkeit kennen, wollte man sich den Weg zur Entscheidung weisen lassen –, fand er sich in einer Welt wieder, in der sich Kommentar auf Kommentar türmte, vielfältige Schichten von Verweisen und Widersprüchen, so alt wie das Universum selbst – bis sich unmöglich
noch länger sagen ließ, wer mit wem oder warum stritt. War der Mensch tatsächlich nach dem zelem Gottes geschaffen worden, dann musste Gott sich selbst unbegreiflich gewesen sein.
Diese Religion ist für mich zu alt, dachte Treslove. Er fühlte sich wie ein Kind, verloren in einem düsteren Wald altersschwacher Gelehrsamkeit.
Hephzibah entging nicht, wie mutlos er wurde. Erst schob sie es darauf, dass er nicht genug zu tun hatte. »Noch ein paar Monate bis zur Eröffnung, und dann geht es los«, sagte sie.
Wie genau Tresloves Tätigkeit aussehen sollte, wenn das Museum den Betrieb aufnahm, war im Einzelnen nie besprochen worden. Manchmal sah Treslove sich als eine Art anglo-jüdischer Kultur-Maître, der die Museumsbesucher willkommen hieß, ihnen die Exponate zeigte und sie erklärte – das Anglo daran ebenso wie das Jüdische –, womit er eben jenen Geist freier unschismatischer Neugier und interkulturellen Austausches an den Tag legen wollte, dessen Pflege und Förderung Anliegen des Museums war. Gut möglich, dass sich Hephzibah auch noch keine weiteren Vorstellungen gemacht hatte.
Die Frage, was genau mit Treslove werden sollte – im beruflichen, religiösen oder auch ehelichen Sinne –, blieb noch zu klären.
»Alles in Ordnung mit euch beiden?«, hatte Libor seine Großgroßnichte bereits in den ersten Tagen gefragt.
»Alles bestens«, hatte sie geantwortet. »Ich glaube, erliebt mich.«
»Und du?«
»Auch. Man muss sich ein bisschen um ihn kümmern, aber das gilt ja auch für mich.«
»Ich habe euch beide sehr gern«, sagte er. »Ich möchte, dass du
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