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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ich schaue da bewusst nicht hin«, sagte sie, als er ihr erzählte, was in den letzten wer weiß wie vielen Wochen von ihm beobachtet worden war.
    Aus ihrem Mund klang es, als wäre die Synagoge ein Sodom, in das man sich nur auf eigene Gefahr begab.
    »Warum?«, fragte er. »Was passiert da?«
    »Ich glaube nicht, dass da viel passiert. Nur stellen sie mir dort ihre Humanität ein bisschen zu sehr zur Schau.«
    »Für Humanität bin ich immer zu haben«, stellte Treslove rasch klar.
    »Weiß ich doch, Darling. Nur die Humanität, die dort zur Schau gestellt wird, gilt meist Leuten, die nicht wie wir sind. Mit wir meine ich …«
    Treslove wischte ihre Verlegenheit beiseite. »Ich weiß, wen du meinst. Aber könnten sie das nicht auch tun, ohne unbedingt das Tuch zu tragen? Wäre es nicht möglich, die eigenen Leute bessern zu wollen, ohne dass damit auch gleich noch euer Feind angefeuert wird? Mit ›euer‹ meine ich …«
    Sie drückte ihm einen Kuss auf den Hinterkopf. Was hieß, dass er noch viel zu lernen hatte.
     
    Also saß er daheim und versuchte zu lernen. Er spürte, dass es Hephzibah lieber war, wenn er ihr im Museum nicht im Weg stand. Und ihm war es ebenfalls lieber, die Wohnung während ihrer Abwesenheit wie ein stolzer jüdischer Ehemann zu hüten, ihren Duft einzuatmen, zu warten, bis sie nach Hause kam, und zu hören, wie sie ein wenig unter dem Übergewicht seufzte, das sie mit sich herumzutragen hatte, während an ihren Fingern die Silberringe klimperten wie bei einer Bauchtänzerin.
    Er mochte den hoffnungsfrohen Ton, mit dem sie seinen Namen rief, sobald sie zur Tür hereinkam. »Julian? Hallo?« Da fühlte er sich gleich begehrt. Wenn frühere Freundinnen seinen
Namen gerufen hatten, dann höchstens in der Hoffnung, dass er nicht daheim war.
    Welch eine Erleichterung ihre Ankunft war. Also konnte er für heute mit seiner Fortbildung aufhören. Er bedauerte es, an der Universität nicht ein oder zwei Semester jüdische Studien belegt zu haben, vielleicht ein Seminar über den Talmud, eines über die Kabbala. Und noch eines darüber, warum ein Jude ein Palästinensertuch trug. Von Grund auf neu anzufangen war nicht einfach. Libor hatte ihm geraten, Hebräisch zu lernen, und sogar einen Lehrer empfohlen, einen bemerkenswerten Menschen, fast zehn Jahre älter als er selbst, mit dem er manchmal in aller Muße Zitronentee im Reuben’s Restaurant in der Baker Street trank.
    »Mit ›in aller Muße‹ meine ich, dass er fast drei Stunden braucht, um seinen Tee mit einem Strohhalm zu trinken«, erklärte Libor. »Das bisschen Hebräisch, das ich kann, hat er mir in Prag beigebracht, ehe die Nazis einmarschierten. Du musst unbedingt zu ihm, selbst wenn du nicht viel von dem verstehen dürftest, was er dir sagt, da er ursprünglich aus Ostrava kommt und einen ziemlich ausgeprägten Akzent hat – hören kann er dich übrigens auch nicht, es hat also keinen Zweck, ihn was zu fragen –, und mit einem gelegentlichen Halsmuskelzucken – bei ihm, nicht bei dir – wirst du dich ebenfalls abfinden müssen; zudem hustet er viel und mag auch wohl mal die eine oder andere Träne verdrücken, wenn ihm seine Frau und die Kinder einfallen, aber er spricht ein wirklich wunderbares, klassisches, präisraelisches Hebräisch.«
    Das mit dem Hebräisch ging Treslove zu weit, selbst wenn sich ein noch lebender Lehrer finden ließe. Eigentlich war er mehr auf Geschichte aus. Geschichte im Sinne von Ideengeschichte. Und er wollte den Kniff lernen, wie ein Jude zu denken. Dafür empfahl ihm Hephzibah den Führer der Unschlüssigen von Moses Maimonides. Sie hatte das Buch selbst zwar nicht gelesen, wusste aber, dass es ein allgemein hoch geschätzter
Text aus dem zwölften Jahrhundert war, und da Treslove zugab, unschlüssig zu sein, und einen Führer brauchte, glaubte sie nicht, dass er etwas Besseres finden konnte.
    »Bist du sicher, dass du nicht bloß deine Ruhe vor mir haben willst?«, fragte er, als er die Seite mit der Inhaltsangabe und dann die Schriftgröße sah. Es schien ihm eines dieser Bücher zu sein, die man als Kind anfängt und erst im Altersheim im Bett neben Libors Hebräischlehrer zu Ende las.
    »Weißt du, was mich angeht, so bist du perfekt, wie du bist«, sagte sie. »Ich liebe dich mit all deiner Umschlüssigkeit. Aber das hier ist genau das, wonach du im Grunde ständig suchst.«
    »Bist du sicher, dass du mich liebst, unschlüssig, wie ich bin?«
    »Ich vergöttere dich, unschlüssig, wie du

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