Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
ständig mehr, als er zu sagen scheint. Wir beackern dasselbe Feld, er und ich.«
Klar doch, dachte Treslove – Führer der Unschlüssigen und John Duns Scotus und die Selbstachtung: Ein Handbuch für alle Menstruierenden .
Stattdessen sagte er: »Und? Was hältst du von dem, was er über die Beschneidung sagt?«
Finkler lachte. »Warum rückst du nicht gleich damit raus, Julian? Hephzibah will, dass du es dir machen lässt, stimmt’s? Tja, an deiner Stelle würde ich mich nicht dagegen sperren. Aber unter uns gesagt – na ja! –, ich fürchte, du bist ein kleines bisschen zu alt. Wenn ich mich recht erinnere, warnt Maimonides davor, es nach dem achten Tag machen zu lassen. Bist also zu spät dran. Wenn auch nur knapp.«
»Nein, Hephzibah will nicht, dass ich es mir machen lasse. Sie liebt mich, wie ich bin. Warum auch nicht? Maimonides schreibt, die Beschneidung soll den Geschlechtsverkehr mäßigen. Ich will in dieser Hinsicht aber gar kein Maß halten.«
»Freut mich zu hören. Aber geht es dabei um dich oder um Moses Maimonides?«
»Nicht um mich. Ich habe mich nur gefragt, was du, der als Philosoph dasselbe Feld beackert, von Maimonides’ Theorie hältst.«
»Dass die Bescheidung dem Sex einen Dämpfer verpasst? Tja, zumindest gibt es die Beschneidung auch, um uns Angst zu machen, und Angst vor Sex gehört dazu.«
»Du hast immer behauptet, Juden hätten so unglaublich Spaß am Sex.«
»Habe ich das? Muss lange her sein. Aber wenn du mich fragst, ob Beschneidung als Mittel zur Zügelung des sexuellen Impulses etwas spezifisch Jüdisches ist, muss ich das verneinen.
Anthropologisch gesehen geht es dabei primär sowieso nicht um Sex, sieht man einmal davon ab, dass Sex natürlich bei allen Initiationsriten eine Rolle spielt. Im Grunde geht es darum, sich vom Rockzipfel zu lösen. Jüdisch daran ist höchstens die Interpretation des Beschneidungsrituals, wie man sie bei Maimonides findet. Er – der mittelalterliche jüdische Philosoph – wünscht sich, wir würden uns stärker zurückhalten, und in der Beschneidung sieht er das dafür angemessene Mittel. Aber ich muss dir sagen, bei mir hat es nie funktioniert.«
»Nie?«
»Nicht soweit ich mich erinnern kann. Und ich glaube, daran würde ich mich erinnern. Allerdings kenne ich da wen, der meint, um sein Vergnügen gebracht worden zu sein, weshalb er nun versucht, die Operation rückgängig zu machen.«
»Man kann sie rückgängig machen?«
»Manche Leute nehmen das an. Lies mal Alvin Poliakows Blog. Du findest ihn unter www.wennnichtjetztwanndann.com oder so ähnlich. Ich könnte dich ihm auch vorstellen. Er ist ein liebenswürdiger Mann, will über nichts anderes reden und zeigt dir vielleicht sogar seinen Schwanz, wenn du ihn höflich darum bittest. Soweit ich weiß, macht er Fortschritte und ist auf bestem Wege, bald kein Jude mehr zu sein.«
»Er ist einer von deinen beschämten ASCHandjiddn, richtig?«
» Klar, beschämter geht’s gar nicht.«
»Und für deinen schämst du dich nicht?«
»Meinst du, ich sollte?«
»Frag ja nur. In der Schule hast du ihn mit Stolz getragen.«
»Bestimmt wollte ich dich bloß ärgern. Ich trag ihn einfach nur, Julian. Ich bin Witwer. Ob beschnitten oder nicht, ist mir im Augenblick nicht besonders wichtig.«
»Tut mir leid.«
»Muss es nicht. Mich freut, dass dein Leben im Augenblick so peniszentral verläuft.«
»Ich meine es ja nur philosophisch, Sam.«
»Weiß ich doch, Julian. Was anderes habe ich von dir auch nicht erwartet.«
Bevor er Schluss machte, fiel Treslove noch eine letzte Frage ein. »Nur interessehalber«, sagte er, »sind deine Jungen auch beschnitten?«
»Frag sie selbst«, antwortete Finkler und legte auf.
Mit Libor darüber zu reden, machte mehr Spaß.
Libors Befürchtung, er würde Treslove seltener sehen, weil der jetzt kein Single mehr war, erwies sich als unbegründet. Veränderungen gab es allein auf seiner Seite. Er ging seltener aus. Gelegentlich aber setzte er sich nachmittags, wenn Hephzibah im Museum war, ins Taxi und ließ sich in ihre Wohnung bringen. Dann saß er mit Treslove am Küchentisch, und sie tranken weißen Tee.
Sie fanden es schön, Hephzibahs Geist zu spüren, der mit sämtlichen Kesseln einen wahren Hexentanz aufführte, um ein einziges Ei zu kochen. Dann atmeten sie ihren Duft ein, und solcherart von ihr erfüllt, lächelten sie einander an, zwei unverbesserliche Frauenliebhaber.
Libor ging neuerdings am Stock. »So weit ist es schon mit mir
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