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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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glücklich bist.«
    »Wäre schön, wenn wir nur halb so glücklich würden, wie du es mit Tante Malkie gewesen bist«, erwiderte Hephzibah.
    Libor tätschelte ihre Hand und starrte ins Leere.

    Hephzibah machte sich Sorgen um ihn, doch wie Treslove bereits an jenem Tag feststellen konnte, an dem sie ihm mit den vier Fragen half, war es für sie ganz natürlich, sich um Männer Sorgen zu machen. Das gehörte zu jenen finklerischen Charakterzügen, die er so sehr bewunderte. Finkler-Frauen wussten, wie fragil Männer waren. Nur Finkler-Männer? Oder alle Männer? Er war sich nicht sicher. Jedenfalls war er der Nutznießer ihrer Anteilnahme. Wirkte er niedergeschlagen, nahm sie ihn in die Arme, kratzte ihn unabsichtlich mit ihren Ringen – das tat weh, aber wenn schon – und barg ihn in ihren Tüchern. Eine Symbolik, die ihm durchaus nicht entging. Wenn seine leibliche Mutter gemerkt hatte, dass ihn etwas bekümmerte, hatte sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange gedrückt und eine Apfelsine gegeben. An Liebe hatte es ihm nicht gemangelt, aber an umfassender Umhüllung. Von Hephzibah umhüllt, erfuhr er wahren Frieden. Dort, in ihr – im nicht-erotischen Sinne, auch wenn es durchaus etwas Erotisches hatte –, war es so schön wie nirgendwo sonst.
    »Du zweifelst doch nicht, oder?«, fragte sie, als sie ihn zusammengesunken im Sessel sitzen sah, den Blick himmelwärts gerichtet.
    »An uns? Nein, überhaupt nicht.«
    »Woran dann?«
    »Deine Religion ist nicht gerade einfach«, sagte er.
    »Nicht einfach? Aber du bist doch derjenige, der ständig sagt, dass wir der Liebe voll sind.«
    »Gedanklich nicht einfach. Ewig geht’s um Metaphysik.«
    »Bei mir?«
    »Nicht unbedingt bei dir, aber bei deinem Glauben. Das stresst total, wie einer meiner Söhne immer sagt, aber frag mich nicht, welcher von beiden.«
    »Das liegt daran, dass du den Glauben unbedingt verstehen willst. Versuche doch, ihn einfach nur zu leben.«

    »Aber ich weiß nicht, was davon ich leben soll.«
    »Ist Maimonides keine Hilfe?«
    Angeödet verzog er das Gesicht. »Na ja, es hat schließlich auch niemand behauptet, dass der Weg zur Schlüssigkeit leicht zu finden sein würde.«
    Insgeheim aber fragte er sich, ob er sich nicht zu viel vorgenommen hatte. Hephzibah tat ihm leid. Hatte er sich als jemand ausgegeben, der er nicht sein konnte? Er drohte, wieder in seine alte Rolle zu fallen, die nur ein einziges Ende zuließ – Hephzibah starb in seinen Armen, während er ihr sagte, wie sehr er sie vergötterte. Verdi und Puccini spielten selbst dann noch in seinem Kopf, wenn er sich durch Moses Maimonides quälte. Der Führer der Unschlüssigen wurde für ihn zur romantischen Oper und endete wie all seine geliebten Opern – er selbst allein auf der Bühne, in Tränen aufgelöst. Nur diesmal als Jude.
    Falls er es je bis zum Juden schaffte.
    Blindlings stolperte er von Kapitel zu Kapitel und überflog die Überschriften: »Der Verfasser bespricht eingehend die von Gott und den Vernunftwesen und den Sphären ausgesagte Emanation …«; »Der Verfasser bemerkt, dass es zwei Dinge gibt, welche entscheiden, dass wir an die Ewigkeit der Welt nicht glauben können … «; »In diesem Kapitel führt der Verfasser die Grade der Prophetie an und sagt …« ; »Der Verfasser sagt in diesem Kapitel, dass er sich wundern müsse, in den Pirqe di R. Eliezer einen Ausspruch gefunden zu haben …«
    Dann kam er zur Beschneidung, und schlagartig lief sein Verstand auf Hochtouren.
    »Was nun die Beschneidung betrifft«, schrieb Maimonides, »so glaube ich, dass man unter anderem damit beabsichtigt, den Geschlechtsverkehr zu mäßigen.«
    Den Satz las er noch einmal.
    »Was nun die Beschneidung betrifft, so glaube ich, dass man
unter anderem damit beabsichtigt, den Geschlechtsverkehr zu mäßigen.«
    Und noch einmal.
    Doch wir müssen hier nicht jede Wiederholung anführen.
    Grundsätzlich las er jeden Satz von Maimonides mindestens dreimal, das aber nur, weil er Klarheit suchte. Hier jedoch verlangte keine Mystifikation nach bewusster Penetration. Beschneidung, erklärte Moses Maimonides, »mindert unmäßige Lust«, »schwächt die Intensität geschlechtlicher Erregung« und »schmälert manchmal das natürliche Vergnügen«.
    Solche Behauptungen verdienten es, um ihrer selbst willen mehrmals gelesen zu werden. Und um seiner selbst willen, falls er denn je vollends ergründen wollte, wer die Finkler waren und was sie wirklich wollten.
    Unter den vielen Gedanken,

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