Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
gesagt, ich glaube nicht mal, dass er je ein Wort von dir gelesen hat. Aber es gibt genügend andere Leute, deren Werke er lesen kann.«
»Außerdem habe ich auch meinen eigenen Verstand«, sagte Immanuel.
»Ich bezweifle«, erwiderte Finkler, »dass man das, was du hast, Verstand nennen kann.«
Hätte er gewusst, wie man so etwas fertigbrachte und hätte er Tyler kein feierliches Versprechen gegeben, hätte er seinen Sohn vom Bett gezerrt und ihm den anderen Arm gebrochen.
2
Als stellvertretender Kurator des Museums für anglo-jüdische Kultur hatte Julian Treslove nicht eben viel zu tun. Das würde sich nach der Eröffnung ändern, versicherte ihm Hephzibah, in dieser frühen Phase drehe sich alles sowieso nur um Architekten und Elektriker. Grübeln und Nachdenken sei das Beste, was Treslove für sie und das Museum tun könne. Überleg, wen oder was wir noch ehren sollten. Kaum hatte sie den Vorschlag gemacht, bedauerte sie ihn bereits wieder. Er war unfair. Juden mochten besessen sein von einem prall gefüllten Almanach jüdischer Ereignisse, ihrem bis zu den ersten Menschen
zurückreichenden Who’s Who , doch konnte man von Treslove kaum erwarten, dass er in jedem Fall wusste, wer nun wer war und wer nicht, wer den Namen geändert hatte oder wer innerhalb und wer nach außerhalb geheiratet hatte. Mehr noch, ihm würde der Instinkt dafür fehlen. Manches kann man sich eben nicht aneignen. Man musste schon als Jude geboren und erzogen worden sein, um in allem den Einfluss der Juden erkennen zu können. Das – oder man war ein waschechter Nazi.
Das Museum war in einem spätviktorianischen, neogotischen, im Stil eines Rheinschlosses errichteten Gebäude untergebracht. Spitze Giebel, falsche Zinnen, unechte Schornsteine und ein Festungswall, den man nicht betreten konnte. Dazu gehörte ein hübscher Garten, von dem Hephzibah sich erträumte, dass man eines Tages dort Tee servieren würde.
»Jüdischen Tee?«, hatte Libor gefragt.
»Jüdischer Tee? Was ist das denn?«, wollte Treslove wissen.
»Dasselbe wie englischer Tee, dazu nur doppelt so viel zu essen.«
»Libor!« ermahnte ihn Hephzibah.
Der Gedanke, spezifisch jüdischen Tee zu servieren, gefiel Treslove, der gelernt hatte, Kekse kichlech und mit Rahm oder Marmelade gefüllte Crêpes blintses zu nennen.
»Lass mich die Speisekarte schreiben«, hatte er gesagt. Und Hephzibah erklärte sich einverstanden.
Seine einzige Sorge war, dass die Lage des Museums genau die Art Lauf kundschaft verhindern würde, die man brauchte, wenn man erfolgreich einen Teegarten betreiben wollte – oder ein Museum. Zwar war es nicht weit weg von den alten Aufnahmestudios der Beatles, doch bot sich dieser Weg nicht gerade an. Parken war auch ein Problem. Überall gab es Halteverbote; und da die Straße dort, wo das rheinische Schloss stand, leicht anstieg, krochen die Busse gerade an dieser Stelle nur mühsam dahin, was bestimmt die Autofahrer ablenkte, die womöglich
das Museum suchten. Außerdem wurde es von weit ausladenden Bäumen verdeckt.
»Die werden das Museum einfach nicht finden«, warnte er Hephzibah. »Oder sie bauen bei ihrer Suche einen Unfall.«
»Wirklich sehr aufmunternd«, sagte sie. »Was soll ich denn machen? Die Fahrbahn begradigen lassen?«
Treslove sah sich schon in seiner Kuratorenuniform auf der Straße stehen und den Verkehr umleiten.
Ihn plagte noch eine ganz andere Sorge, über die er sich aber nicht äußern wollte. Vandalismus. Darauf war man hier offenbar spezialisiert. Fast jeder, der die Abbey Road Studios besuchte, schrieb draußen etwas an die Mauern. Meist gutmütige Sprüche – »Soundso liebt Soundso«, »We all live in a yellow submarine«, »Ruhe in Frieden, John!« –, eines Tages aber entdeckte Treslove im Vorübergehen ein frisch gespraytes Graffito in arabischer Schrift. Vielleicht nur eine Liebesmessage – »Imagine there’s no countries, it isn’t hard to do« –, was aber, wenn es eine Hassbotschaft war, wenn man sich nicht vorstellen sollte, dass es keine Länder, sondern dass es kein Israel, keine Juden mehr gab? Imagine there’s no Israel, imagine there’s no Jew …?
Er wusste, er hatte keinen Grund, derartiges zu vermuten, weshalb er seinen Verdacht letztlich auch für sich behielt. Doch die arabischen Schriftzeichen sahen wütend aus, wie ein Gekritzel über alles hinweg, was sonst noch an der Mauer stand, eine Absage an den spiritus loci, den Geist des Ortes.
Oder hatte er sich das auch nur eingebildet,
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