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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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sich vor, wie er ihr etwas zum Anziehen heraussuchte. Wenn er in Gedanken alle Teile beisammen hatte, würde sie sich vielleicht darin zeigen.
    Seine Erinnerungen waren schmerzhaft, gerade weil sie so schön waren. Neuerdings aber änderte sich der Schmerz. So viel Schlechtes war ihnen beiden passiert, zwischen ihnen, wegen ihnen. Er hatte ihre Eltern verärgert und Malkie um ihre musikalische Karriere gebracht. Sie hatten kein Kind bekommen, was sie beide eigentlich nicht schlimm fanden, doch gab es eine Fehlgeburt, die ihnen zusetzte, gerade weil sie es nicht schlimm fanden. Malkie war nicht mit ihm nach Hollywood gegangen, weil sie nur ungern flog und für neue Bekanntschaften nichts übrig hatte. Er sei die einzige Bekanntschaft, sagte sie, an der ihr etwas liege. Nur er interessiere sie. Doch fragte er sich, während er jetzt drüber nachdachte, ob das für sie nicht schrecklich und für ihn eine unerträgliche Last gewesen war. Ohne sie hatte er sich einsam gefühlt. Er sah sich Versuchungen ausgesetzt, die ihm weniger zu schaffen gemacht hätten, wenn sie bei ihm gewesen
wäre. Dennoch hatte er nie gewagt, sie zu enttäuschen, weder als unermüdlicher Gefährte, der mit wunderbaren Geschichten von seinen Reisen heimkehrte, noch als jener Mann, der ihre Liebe erwiderte und stets aufs Neue bewies, dass sie ihre Gefühle für ihn nicht verschwendete, oder aber als Ehemann, der sich bei jeder Schicksalswende verpflichtet fühlte, ihr völliges Vertrauen in ihn zu rechtfertigen.
    Keiner dieser Gedanken brachte ihn gegen Malkie auf, nur änderten sie die Atmosphäre seiner Erinnerungen, ließen den goldenen Heiligenschein nicht erlöschen, aber dunkler werden. Vielleicht ist es so zum Besten, dachte er. So hilft die Natur, drüber hinwegzukommen. Wenn er sich aber nicht drüber hinweghelfen lassen wollte? Was maßte die Natur sich an, sich hier einzumischen!
    Schlimmer waren die schwarzen Momente, an die er immer wieder denken musste, da sie ihr gemeinsames Leben vergiftet hatten, auch wenn ihnen das damals wohl nicht bewusst gewesen war. Im Jiddischen gibt es eine Redewendung, die er oft von seinen Eltern gehört und von der er geglaubt hatte, sie bedeute: Vor langer Zeit. Ale schwartse jorn – all die schwarzen Jahre. All die schwarzen Jahre aber waren jetzt ihre schwarzen Jahre – Malkies und seine. Die Momente, die ihr Leben überschattet hatten, waren die von Monstern bevölkerten Antimythen ihrer Liebesgeschichte, die bewiesen, dass sie keineswegs in einem Paradies, sondern, ganz ohne eigenes Verschulden, an einem Ort gelebt hatten, der eher der Hölle glich.
    Malkies Eltern, die kehllautigen Hofmannsthals, waren vermögende deutsche Juden gewesen, für Libor mit seinem in tschechischer Manier heillos konfusen Politikverständnis gleich zwei Gründe, weshalb sie zur schlimmsten Sorte Juden zählten. Die Eltern wiederum waren von der Gattenwahl ihrer Tochter dermaßen enttäuscht, dass sie Malkie praktisch enterbten und Libor behandelten, als sei er Dreck unter ihren Füßen. Sie
weigerten sich, zur Hochzeit zu kommen, und verlangten, dass Libor sich von allen Familientreffen fernhielt, auch von Beerdigungen. »Was fürchten sie denn? Dass ich auf ihren Gräbern tanze?«, fragte er Malkie.
    Sie hatten recht, sich Sorgen zu machen. Genau das hätte er getan.
    Und seine Sünde? Er war zu arm für sie, war Journalist, ein Sevcik, kein Hofmannsthal, war ein tschechischer, kein deutscher Jude.
    Sie konnten Malkie nicht gänzlich enterben, mussten ihren Besitz ja testamentarisch regeln und hinterließen ihr einen kleinen Häuserblock in Willesden. In Willesden! So exklusiv, wie sie sich gebärdeten, dachte Libor, hätte man sie für Adelige halten können, dabei waren sie nur die popeligen Vermieter eines heruntergekommenen Häuserblocks in Willesden gewesen.
    »Nur gut, dass ich Jude bin«, sagte er zu Malkie, »sonst hätte mich deine Familie noch zum Faschisten gemacht.«
    »Vielleicht hätten sie dich lieber gehabt, wenn du kein Jude wärst«, sagte Malkie, womit sie meinte, wäre er doch bloß Musiker oder hätte eigenen Besitz.
    »Und was war mit Horowitz? Hatte er mehr als eine Datscha in Kiew?«
    »Er war berühmt, Darling.«
    »Ich bin auch berühmt.«
    »Nur ist das die falsche Sorte Berühmtheit, und du warst auch noch nicht berühmt, als wir geheiratet haben.«
    Sosehr er ihre deutschen Eltern und deren Reichtum auch verachtete, verachtete er die Mieter doch noch mehr, derentwegen sie, Malkie und er,

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