Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
die Finger ihrer sorgsam gepflegten Hände aneinander. Wie Feuer blitzten ihre Ringe im Licht der Kronleuchter auf. Tja nun. »Wenn du nicht kannst, dann kannst du nicht«, sagte sie.
»Kann nicht und will nicht«, sagte er.
Sie wich zurück, als hätte er sie schlagen wollen.
Ein russisches Pärchen am Nachbartisch starrte zu ihnen herüber.
»Willst nicht?«
Libor starrte zurück. Betuchter Oligarch und blass geschminkte Nutte. Waren Russen je etwas anderes gewesen?
Ein Russe, der weiß, was gut für ihn ist, setzt sich nicht neben einen Bürger Prags, dachte Libor.
»Will nicht, weil es keinen Sinn hat«, fuhr er fort und wandte sich wieder Emmy zu. »So sind die Dinge nun mal. Und vielleicht sollen sie auch so sein.«
Was er sagte, überraschte ihn selbst; er hörte seine Worte, als kämen sie aus fremdem Mund, trotzdem wusste er, was diese andere Person meinte. Sie meinte, solange es auf der Welt Juden wie Malkies Eltern gab, würde es auch Menschen geben, die sie hassten.
Emmy Oppenstein schüttelte den Kopf, wie um Libor daraus zu vertreiben.
»Ich gehe jetzt«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wofür du mich bestrafen willst, und ich kann dir versichern, keiner von uns beiden hat irgendwas getan, das dies rechtfertigen würde. Aber ich verstehe, warum du es tun musst. Als Theo starb, habe ich auch jeden gehasst.«
Sie stand auf, um zu gehen, doch Libor hielt sie zurück. »Höre mir bitte nur fünf Minuten zu«, sagte er. »Ich hasse dich nicht.«
Er fragte sich, ob die Russen ihn auch für einen Oligarchen hielten, der sich mit seiner Prostituierten stritt, obwohl sie beide schon über achtzig waren. Was sonst konnte russische Fantasie in ihnen sehen?
Emmy setzte sich. Libor bewunderte ihre Bewegungen. Als sie vom Tisch aufstand, war das, als würde eine Oberrichterin das Gericht verlassen. Nun war sie zurückgekehrt, um ihr Urteil zu verkünden.
Doch bewunderte er sie nur mit jenem Teil seines Hirns, der nicht mehr richtig funktionierte.
Er beugte sich vor und griff nach ihren Händen. »Ich habe in mir das tief sitzende Bedürfnis bemerkt«, sagte er, »schlecht über meine jüdischen Mitbürger denken zu wollen.«
Er wartete.
Sie sagte nichts.
Ihm wäre lieber gewesen, er hätte Angst oder Hass in ihren Augen entdeckt, aber sie musterte ihn nur mit geduldiger Neugier. Vielleicht auch nur mit Geduld.
»Ich wünsche ihnen nichts Böses, verstehst du«, fuhr er fort. »Ich denke nur schlecht über sie. Deshalb fällt es mir schwer, mich dafür zu interessieren, was mit ihnen passiert. Es geht schon zu lange so. Wie heißt noch mal das Wort, das man manchmal in der Zeitung liest – Mitgefühlsmüdigkeit, nicht?«
Sie blinzelte.
»Nur habe ich nie Mitgefühl empfunden. Mitgefühl hat andere Gründe. Man kann nicht Mitgefühl mit sich selbst oder für seinesgleichen
empfinden. Was ich empfand, war eher ein heftiges Beschützergefühl. Wurde ein Jude angegriffen, wurde ich selbst angegriffen. Dies sind die Nachkommen der Kinder Adams … Wir gehen auf denselben Vater zurück. Ich war der Hüter meines Bruders. Aber das ist zu lang her. Zu lang für uns und zu lang für jene, die wir nicht sind. Es sollte ein Verjährungsstatut geben. Lasst es genug sein mit diesem jüdischen Krams. Wir wollen von keinem mehr was darüber hören, vor allem nicht von euch Juden. Zeigt ein wenig Anstand. Findet euch damit ab, dass eure Zeit um ist, wenn sie um ist.«
Er wartete, als rechne er damit, dass sie zustimmt: »Ja, Libor, meine Zeit ist um.«
Sie ließ ihn warten, um dann – die Russen, Libor, die Russen hörten zu – mit leiser Stimme zu erwidern: »Aber was du beschreibst, ist nicht, was du schlecht über jemanden denken nennst. Ich hatte schon befürchtet, du wolltest sagen, dass wir nur bekommen, was wir verdienen. Dass es die Schuld meines Enkels sei, wenn ihm das Augenlicht genommen wird. Die Logik des Filmregisseurs. Ein Jude in Palästina enteignet einen Araber, ein Jude in London verliert sein Augenlicht. Was das jüdische Volk sät, wird das jüdische Volk ernten. Ich glaube nicht, dass ich dich das sagen höre.«
Jetzt hielten ihre Hände die seinen.
»Die Eltern meiner lieben Frau«, sagte er, »an denen was Gutes gewesen sein muss, da sie Malkie hervorgebracht haben, waren nichtswürdige Menschen. Und ich kann dir sagen, was sie nichtswürdig machte, kann mir lang zurückliegende Umstände ausmalen – sagen wir Hunderte, sagen wir Tausende von Jahren zurück –, die sie zu besseren
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