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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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nun, da sie selbst zur besitzenden Klasse gehörten, mit Kommerz die eigene Seele besudelten. Jede erdenkliche Variante verschlagener, hinterlistiger, jammernder und räuberischer Charaktere fand sich in diesen Häusern. Ihre Mieter, denen er unter anderen Umständen niemals Unterkunft
gewährt hätte, nicht mal in einem Pappkarton, kannten jedes Jota der Gesetze, die ihnen nutzen mochten, und verstießen gegen alle übrigen. Sie verpesteten ihre Umgebung, und wenn sie auszogen, stahlen sie mit kleinlicher Habgier jeden Schalter und jede Glühbirne, jeden Riegel und Türgriff, jeden einzelnen Teppichfaden.
    Stoß den ganzen Häuserblock ab, lautete sein Rat, er ist den Ärger nicht wert, doch Malkie fühlte sich dadurch mit ihren Eltern verbunden. Sie hatten sich in London eine neue Existenz aufgebaut. Willesden zu verkaufen, wäre für Malkie gewesen, als lösche sie ein zweites Mal die Geschichte ihrer Eltern aus. »Dreckige, geldgierige Jüdin«, hatten die Mieter Malkie genannt, als sie nicht vor ihren Drohungen kuschte, und hatten damit insofern recht, als sie sich durch den Kontakt mit ihnen tatsächlich verschmutzt und verdreckt fühlte.
    Menschliches Ungeziefer, dachte Libor, sosehr er die Engländer ansonsten auch mochte, doch würde selbst Ungeziefer die eigenen Behausungen pfleglicher behandeln. In seiner Erinnerung vermengten sich die Vermieterprobleme mit ihrer Krankheit, obwohl Malkie schon lange vorher Libors Rat befolgt und die Wohnungen verkauft hatte. Wie konnten sie es wagen, eine gesundheitlich angeschlagene Frau so zu beschimpfen? Und wie schrecklich für Malkie, sich unter diesen Umständen dem menschlichen Tier in seiner widerwärtigsten Form stellen zu müssen. All die schwarzen Jahre. Ja, sie waren zusammen glücklich gewesen. Sie hatten einander geliebt. Doch wenn sie glaubten, der Ansteckung entgehen zu können, hatten sie sich getäuscht. Es war, als kröchen schwarze Spinnen über den Bauch der schönen, geliebten Malkie, die dort unten in dreckiger Erde ruhte.
    Er rief Emmy an und fragte, ob sie mit ihm frühstücken wolle. Seine Einladung überraschte sie. Warum Frühstück? »Am Morgen«, erklärte er, »bin ich am schlechtesten gelaunt.« – »Und
was habe ich davon?«, fragte sie. »Du nichts«, sagte er, »aber ich.« Sie lachte.
    Sie trafen sich im Ritz. Er hatte sich für sie schick gemacht, David Niven, wie er leibte und lebte, nur mit dem traurigen, besiegten Prager Frühlingslächeln eines Alexander Dubček.
    »Du willst mir hier doch nicht wieder den Hof machen?«, fragte sie.
    Es gab keinen Grund, es nicht zu versuchen. Sie war eine attraktive Frau mit schönen Beinen, und Libor musste weder Treueschwüre noch Erinnerungen wahren. Die Vergangenheit war mit schwarzen Spinnen verseucht. Neugierig machte ihn nur ihr Gebrauch der Worte hier und wieder.
    »Hierher hast du mich auch das letzte Mal ausgeführt.«
    »Zum Frühstück?«
    »Nun, zu Bett und Frühstück, aber ich merke, du hast es vergessen.«
    Er entschuldigte sich. Er wollte ihr gerade sagen, dass es seiner Erinnerung entfallen sei, doch schien ihm dieser Ausdruck unpassend, so als sei sein Gedächtnis ein Gefäß zur Aufbewahrung guter Zeiten, ein Gedanke, den sie möglicherweise beleidigend fand, da sie meinen könnte, er hätte zugelassen, dass ihm diese gute Zeit aus dem Gedächtnis geraten war.
    »Weg«, sagte er und fasste sich an den Kopf. »Wie so vieles andere.«
    Hatte er sie wirklich zu Bett und Frühstück hergebracht? Wie aber hatte er sich in seinen verarmten Prä-Malkie-Tagen das Ritz leisten können? Es sei denn, es war doch noch nicht so lange her, und in diesem Fall … in diesem Fall war es wohl besser, dass jede Erinnerung daran verschwunden war.
    Doch wie hatte er sie nur verlieren können?
    Emmy ließ ihm Zeit zu denken, was er dachte – seine Gedanken waren nicht schwer zu erraten –, und erkundigte sich danach, welche Fortschritte die Trauerberatung machte.

    Trauerberatung? Dann fiel es ihm wieder ein. »Weg«, sagte er und fasste sich erneut an den Kopf.
    Rasch fuhr er fort: »Ich habe dich hergebeten, weil ich zum einen einsam bin und mir die Gesellschaft einer schönen Frau wünschte, zum anderen aber, um dir zu sagen, dass ich nichts tun kann.«
    Sie schien nicht zu verstehen.
    »Ich kann nichts für deinen Enkel tun. Oder gegen den antisemitischen Filmregisseur. Ich kann nichts für oder gegen irgendwas oder irgendwen tun.«
    Sie lächelte ein verständnisvolles Lächeln und presste

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