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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Es ist keineswegs einfach, im Lärm einer zu Ende gehenden öffentlichen Veranstaltung, wenn jeder darauf drängt, noch gehört zu werden, einen Satz in der Stille schweben zu lassen.
    Doch Finkler, ehedem exhibitionistischer Don in Oxford, heute erfahrener Medienphilosoph, hatte durchaus ein paar rhetorische Tricks auf Lager. Als ehedem geliebtem Gatten von Tyler, nun trauerndem Witwer, als ehedem stolzem Vater, nun nicht mehr ganz so stolz, und als potenziellem Mörder von Tamara Krausz standen ihm auch einige Tricks von feierlichem Ernst zu Gebote.
    »Wie können Sie es wagen?«, von ihm kam das politisch unerwartet, unerwartet auch als Antwort auf die Frage dieser verhärmten Frau, die einst jüdische Ethik zelebriert hatte und nun leidender Menschheit aus der Seele sprach, unerwartet auch der heftige Ton. Ein einzelner Pistolenschuss hätte kaum bedrohlicher klingen können.
    Er ließ das Echo im Saal widerhallen – eine Zehntelsekunde lang, eine halbe, eine ganze, eineinviertel, ein Leben lang – und sagte dann in einem Ton, der wegen seiner in pädagogische Vernunft gehüllten Worte kaum weniger schockierte: »Wie können Sie es wagen, Sie als Nicht-Jüdin – und ich muss sagen, es beeindruckt mich nicht im Mindesten, dass Sie voller Ehrfurcht für die jüdische Ethik aufgewachsen sind, im Gegenteil, ich finde das verstörend –, ja, wie können Sie auch nur denken, Sie dürften den Juden sagen, in was für einer Art Land sie leben sollen, da es doch europäische Nicht-Juden wie Sie waren, die ein separates Land für Juden erst notwendig gemacht haben?
    Welcher verqueren Logik zufolge vertreiben Sie Menschen gewaltsam aus Ihrem Land und glauben dann, Sie seien berechtigt,
von hoher Warte herab Bedingungen stellen zu können, die einschränken, wohin diese Leute gehen dürfen, die Sie gerade losgeworden sind, und wie sie dort für ihr künftiges Wohlergehen Sorge tragen? Ich bin Engländer und liebe meine Heimat, aber glauben Sie wirklich, dies sei kein rassistisches Land? Kennen Sie irgendein Land, dessen jüngste Geschichte nicht durch Hass und Vorurteil verdüstert ist? Was also gestattet es Leuten, die selbst Rassisten sind, mit dem Finger auf den Rassismus anderer Leute zu zeigen? Nur von einer Welt, von der Juden glauben, sie hätten von ihr nichts zu befürchten, werden Juden willens sein, Lektionen in Sachen Menschlichkeit zu lernen. Bis dahin aber kann man das Angebot des jüdischen Staates, allen Juden der Welt Sicherheit zu gewähren – ja, in erster Linie den Juden –, vernünftigerweise wohl kaum als rassistisch bezeichnen, mag es auch parteilich sein. Ich kann verstehen, wenn ein Palästinenser sagt, ihm käme das rassistisch vor, aber auch er ist Erbe einer Geschichte, randvoll mit Verachtung für Menschen, die anderen Glaubens sind. Sie aber, meine Dame, Sie kann ich nicht verstehen, denn Sie stehen hier als mitfühlende Seele, als von Gewissensbissen geplagte Vertreterin eben jener Welt der Nicht-Juden, aus der Juden ohne eigenes Verschulden seit Jahrhunderten fliehen müssen …«
    Er sah sich um. Kein tosender Applaus. Was hatte er denn erwartet? Ein paar Leute klatschten begeistert, weit mehr buhten ihn aus. Hätte er nicht so große Autorität besessen, hätte – das vermutete, nein, verdammt, das hoffte er – manch einer »Schande!« gerufen. Ein Demagoge hört es gern, wenn man »Schande!« ruft. Was er aber vor allem sah, waren Menschen, die in ihren Überzeugungen gefangen waren wie Ratten in einer Falle.
    Wer mit seinen Augen sah, sah, was er sah, wer nicht, der nicht. Und Letztere hatten genug.
    Scheiß drauf, dachte er. In diesem Augenblick ließ sich seine ganze Philosophie in diesen Worten zusammenfassen. Scheiß drauf.

    Er wandte sich zu Tamara Krausz um. »Und? Was denken Sie?«, wollte er wissen.
    Über ihr Gesicht zog ein seltsames Lächeln, als hätte er alles, was er gerade gesagt hatte, auf ihr Gebot hin gesagt.
    »Hysterisch«, antwortete sie.
    »Sie haben nicht zufällig Lust, schreiend in meinen Armen zu liegen?«, fragte er sie dann aufs Allercharmanteste.

ZEHN
    1
    Mit der Zeit begann Treslove zu glauben, er habe durchaus Grund zu der Annahme, dass Finkler ein Auge auf Hephzibah geworfen hatte. Sollte dies weit hergeholt klingen, dann vielleicht deshalb, weil Tresloves Verdacht weit hergeholt war.
    Eigentlich gab es nämlich nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Finkler ein Auge auf Hephzibah geworfen hatte, doch beschloss er, ihn dennoch zu verdächtigen.

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