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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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kam. Und dann noch einmal. Sie hatte geglaubt, sein Argwohn wäre ausgeräumt. Doch beim dritten Mal seufzte sie nicht allein deshalb. Seltsamerweise hatte ihr Sam nämlich an diesem Nachmittag einen Besuch im Museum abgestattet. Das hatte er noch nie getan. Und erklären konnte sie sich seinen Besuch auch nicht. Als sie ihn sah, war ihr, als hätten ihn die Gespräche mit Treslove herauf beschworen, als hätte ihn Tresloves Wille hergeführt.
    Es dürfte ihn selbst überrascht haben, dass sie ihn mit offenem Mund empfing.
    »Wie komme ich zu diesem Vergnügen?«, fragte sie, als sie ihm die Hand reichte.
    Sie kannte die Antwort. Die Ängste ihres Lovers hatten ihn hergeführt.
    »Ach, ich fuhr gerade vorbei und dachte, ich schau mal rein«, sagte er. »Sehe mir an, wie’s vorangeht. Ist Julian da?«
    »Nein, er kommt nicht mehr her. In diesem Stadium kann er hier nicht viel tun.«
    Er blickte sich um, betrachtete die Vitrinen, die Wandbilder, die Reihen mit Computern und Kopfhörern. An der hinteren Wand fielen ihm Fotos mit Sir Isaiah Berlin und Frankie Vaughan auf. Nie zusammen.
    »Sieht doch schon fast fertig aus«, sagte er.
    »Ja, aber es ist noch nichts angeschlossen.«

    »Also kann ich meinen Stammbaum noch nicht erforschen?«
    »Wusste gar nicht, dass du das wolltest.«
    Er zuckte mit den Achseln. Wer wusste schon, was er wollte? »Wie wär’s mit einer Führung?«, fragte er. »Oder bist du zu beschäftigt?«
    Sie schaute auf die Uhr. »Ich habe zehn Minuten für dich«, sagte sie. »Aber nur, wenn du versprichst, nicht so ironisch zu sein wie bei unserem letzten Gespräch. Denk dran, dies ist kein Holocaust-Museum.«
    Er lächelte. So unattraktiv, dachte sie, war er gar nicht.
    »Ach«, sagte er, »das würde mir auch nichts ausmachen.«
    2
    Als er Hephzibah sagte, dass Finkler sich anscheinend einsam fühlte, vergaß Treslove zu erwähnen, was ihn, außer der eigenen Angst vor der Einsamkeit, auf diesen Gedanken gebracht hatte, nämlich die SMS von Alfredo: »Hab deinen durchgeknallten TV-Kumpel auf Nuttensuche ertappt und mich gewundert, dass du nicht bei ihm warst.«
    Treslove schrieb zurück: »Woran erkennst du, dass ein Mann auf Nuttensuche ist?«
    Für die Antwort brauchte Alfredo ein paar Tage: »Ihm hängt die Zunge aus dem Hals.«
    Treslove schrieb: »Du bist nicht mein Sohn«, drückte aber nicht auf die Sendentaste. Er wollte sich von Alfredo keine Breitseite in Sachen Vernachlässigung der Elternpflichten einfangen.
    Hephzibah einmal außen vor gelassen, bedauerte er Finkler, falls Alfredos Vermutung zutraf, und bedauerte ihn fast noch mehr, falls sie nicht zutraf und Finkler nur wie ein Mann aussah, auf den weder ein Heim noch eine treusorgende Frau warteten.
    Es war schrecklich, die Frau zu verlieren, die man liebte.
    3
    »Bestimmt bildest du dir das nur ein«, sagte Libor. Treslove hatte ihn in die wiedereröffnete Nosh-Bar in der Windmill Street zu einem Salt-Beef-Sandwich eingeladen. Jahre zuvor war Libor mit Treslove und Finkler hier gewesen, da dies zu seinem Plan gehörte, die jungen Männer in jene geheimen Vergnügungen der Stadt einzuweihen, die er selbst sehr schätzte. Ein Salt-Beef-Sandwich in Soho, das war für Treslove damals wie ein Abstieg in die Unterwelt kosmopolitischer Zügellosigkeit. Er hatte sich gefühlt, als erlebe er die letzten Tage des Römischen Reiches, auch wenn die Römer kaum Sandwich mit gesalzenem Rindfleisch gekannt haben dürften. Jetzt fragte er sich allerdings, ob er nicht die letzten Tage seiner selbst erlebte.
    Und wie es aussah, auch die von Libor. Gewissenhaft trennte der alte Mann das Rindfleisch vom Roggenbrot, da Letzteres nicht leicht zu verdauen war, dann aber rührte er das Fleisch nicht an. Er hatte ohne Senf verlangt. Er wollte auch keine eingelegten Gurken.
    Er aß nicht mehr, er zerlegte sein Essen nur noch.
    Früher hätte er aus dem Fenster geschaut und die Parade der zügellosen Scharen genossen. Heute blickte er wie mit geschlossenen Augen hinaus. Ich habe ihm mit meiner Einladung keinen Gefallen getan, dachte Treslove.
    Allerdings war die Einladung auch nicht als Gefallen für Libor gedacht gewesen; Treslove selbst hatte sie bitter nötig.
    »Warum sollte ich mir das einbilden?«, fragte er. »Ich bin glücklich. Ich bin verliebt. Und ich glaube, meine Liebe wird erwidert. Wieso sollte ich etwas so Schreckliches heraufbeschwören wollen?«
    »Aus dem üblichen Grund«, erwiderte Libor.
    »Komm mir nicht tschechisch. Was ist das

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